Angela Merkel hat am Mittwoch im Bundestag für die weitreichende Entscheidungen zum Klimaschutz geworben, die ihr Kabinett nächste Woche treffen will. Foto: AFP/John MacDougall

Streitlustig, informativ und mit großer Bandbreite – die Generaldebatte im Parlament zeigt, dass der Bundestag der Ort für gesellschaftliche Diskussionen bleiben oder wieder werden kann.

Berlin - Die schönsten Geschichten spielen sich am Rande der Generaldebatte ab, die im Bundestag stets geführt wird, wenn in der Haushaltswoche der Etat des Bundeskanzleramts zur Diskussion steht. Da stecken dann Kanzlerin Angela Merkel und ihr Außenminister Heiko Maas in einer Sitzecke die Köpfe zusammen, während der Grüne Cem Özdemir in der Lobby zu seiner Kampfkandidatur um den Fraktionsvorsitz der Umweltpartei gelöchert wird.

In den hinteren Reihen des Plenums plaudern in großkoalitionärer Eintracht Ex-Unionsfraktionschef Volker Kauder und die Sozialdemokratin Michelle Müntefering miteinander – während ihre Parteifreundin Svenja Schulze und der Christsoziale Andreas Scheuer auf der Regierungsbank das Kontrastprogramm dazu liefern. Die Umweltministerin und der Verkehrsminister müssten vor der entscheidenden Sitzung des Klimakabinetts nächste Woche eigentlich eng zusammenarbeiten – stattdessen sitzen sie durchgehend wortlos nebeneinander.

Die Hauptbühne einer jeden Generaldebatte ist dennoch das Rednerpult. Und dieser Mittwoch beweist, dass der eben 70 Jahre alt gewordene Bundestag durchaus der Ort der gesellschaftlichen Auseinandersetzung und Diskussion bleiben oder wieder werden kann. Im Gegensatz zu den Fernsehtalkshows und sozialen Medien, wo die Würze in der Kürze liegen muss, dürfen die Redner unter der Reichstagskuppel auch einmal zusammenhängende Gedanken formulieren – ohne auf einen Trend bei Twitter Rücksicht zu nehmen.

Lindner teilt gegen die Wirtschaft aus

Die Gelegenheit macht sich besonders der kommissarische SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zunutze, der erstmals Hauptredner der Sozialdemokraten in einer Generaldebatte ist. Er trägt vor, was es heißt, „gerecht zu regieren“ und warum seine arg gebeutelte Partei „unverzichtbar“ bleibe, da nur durch die Sozialdemokratie nicht „demagogisches, ausgrenzendes und chauvinistisches Regieren die Antwort auf komplizierte Fragen“ werde. Mützenich warnt vor der zunehmenden nuklearen Konfrontation zwischen den USA und China, fordert eine neue europäische Sicherheitsinitiative unter Einschluss Russlands und ärgert sich, dass seine eigene Regierung nicht dem UN-Vertrag für ein Atomwaffenverbot beitritt.

Kaum ein relevantes Thema wird ausgelassen. Linksfraktionschef Dietmar Bartsch klagt, dass nur 1,5 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau fließen und „Deutschland einig Funkloch-Land“ sei nach vielen Jahren großer Koalition. Sein FDP-Amtskollege Christian Lindner wirft der Regierung angesichts einer möglichen Rezession vor, in guten Zeiten kaum vorgesorgt zu haben: „Sie haben den Boom nicht genutzt, um unser Land wettbewerbsfähig zu machen.“ Etwas überraschend teilt der Liberale auch gegen die Wirtschaft aus – so sei Siemens-Chef Joe Kaeser schnell dabei, die AfD oder US-Präsident Donald Trump zu kritisieren, während er gegenüber China zur Zurückhaltung mahne – trotz Hongkong. Merkel nennt die Einhaltung der Menschenrechte „unabdingbar“ und spricht über den deutschen Beitrag zur Beilegung der langjährigen Konflikte in Libyen und der Ukraine.

Die innenpolitische Lage kommt nicht zu kurz, wobei der Linke Bartsch darauf hinweist, dass überhaupt nicht sicher ist, dass die jetzige Regierung im Frühjahr noch im Amt sein wird. Die Grüne Kathrin Göring-Eckhardt geht auf die Landtagswahlergebnisse in Brandenburg und Sachsen ein, wo es nicht nur gefühlt, sondern tatsächlich von der Bundespolitik vergessene Regionen gebe: „Es ist aber keine Entschuldigung, rechtsradikal zu wählen, nur weil der Bus nicht fährt.“ Lauten Ärger handelt sie sich ein, als sie die Landwirtschaft für die Zerstörung der Landschaft verantwortlich zu machen scheint.

Weidel zeichnet ein düsteres Deutschland-Bild

Dass daraufhin ein FDP-Abgeordneter die einzig zugelassene Zwischenfrage stellt, ist ein Indiz dafür, dass der Bundestag nicht von ungefähr über eine Reform seiner Debattenkultur nachdenkt. Erste Ansätze wie die regelmäßigere Befragung der Kanzlerin wurden bereits eingeführt.

Dass es nicht an Kontroverse und einer maximalen Bandbreite an Meinungen fehlt, beweist die AfD-Politikerin Alice Weidel, die als Fraktionschefin der größten Oppositionspartei den Auftakt machen darf und ein düsteres Deutschland-Bild zeichnet. Die Regierung halte am „Märchen vom reichen Land“ fest, während ein erneuter Bankencrash und eine Währungsreform drohe, „bei der die Menschen alles verlieren werden“. Statt Flüchtlinge fernzuhalten, wolle Merkel einen „staatlichen Wassertaxidienst“ einrichten – gemeint sind die Überlegungen, die Seenotrettung im Mittelmeer wieder aufzunehmen. Die Umweltpolitik der Koalition nennt Weidel ein „monströses Deindustrialisierungsprogramm“, da der Klimawandel für sie ein „imaginierter Weltuntergang in ferner Zukunft“ ist.

Die Kanzlerin sieht den Klimaschutz neben der Bewältigung der Digitalisierung, bei der Deutschland nicht Weltspitze sei, als die zentrale Menschheitsaufgabe: „Da ist die deutsche Wirtschaft weiter als manche in diesem Haus.“ Sie beklagt „die Arroganz“ in den Städten gegenüber dem Land in klimapolitischen Fragen. Um etwa die Akzeptanz für Windparks auf dem Land zu erhöhen, schlägt sie vor, die Kommunen an Gewinnen zu beteiligen.

„Sie haben 14 Jahre lang nichts gemacht“, schallt es ihr da vom Grünen Jürgen Trittin entgegen. Das ist dann einer dieser Momente, in denen gilt: Im Bundestag läuft die bessere Talkshow.