Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nicht immer einfach: Durch Elternzeiten sind Frauen beim Lebenseinkommen deutlich benachteiligt. Foto: imago//Ute Grabowsky

Dass Frauen im Schnitt weniger verdienen als Männer, ist bekannt. Wie sehr Elternzeiten Frauen finanziell jedoch ausbremsen, zeigt eine neue Studie. Was Abhilfe schaffen könnte, und wie viel Arbeitskräftepotenzial nicht genutzt wird.

Frauen verdienen im Laufe ihres Berufslebens deutlich weniger Geld als ihre männlichen Kollegen. Grund sind vor allem die Ausfallzeiten im Beruf durch Erwerbsunterbrechungen. Durch Elternzeiten büßen Frauen im Vergleich zu männlichen Kollegen rund 40 Prozent an Lebenseinkommen ein – auch gegenüber Vätern. Dies zeigt eine Studie des Tübinger Instituts für Angewandte Wissenschaft (IAW) und des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages (BWIHK), die unserer Zeitung exklusiv vorliegt. Dafür wurden die tatsächlichen Lebenseinkommen von mehr als 12 000 Frauen und Männern ausgewertet und verglichen – das kumulierte Einkommen aus sozialversicherungspflichtiger Tätigkeit, auch die gesamte Bildungsbiografie wurde berücksichtigt.

Differenz von 400 000 Euro

Die Auswertung zeigt auch, je qualifizierter eine Frau ist, umso größer wird die Einkommenslücke gegenüber gleich gut ausgebildeten Männern. Der Studie zufolge verdienen hochqualifizierte Männer durchschnittlich 700 000 Euro mehr als Männer mit mittlerer Qualifikation, für Frauen liegt der Wert bei nur 300 000 Euro.

Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass Kinder für Männer – bezogen aufs Erwerbseinkommen – eher mit Vorteilen einhergehen, für Frauen dagegen sind sie generell mit einem geringeren Lebenseinkommen verbunden.

„Die neue Studie arbeitet wissenschaftlich auf, was wir gefühlt schon wussten, nämlich dass Elternzeit das Erwerbsleben insbesondere von Frauen stark negativ beeinflusst“, sagt BWIHK-Vizepräsidentin Marjoke Breuning. Man müsse alles dafür tun, das zu ändern.

Ungenütztes Fachkräftepotenzial

Die geringeren Lebenseinkommen von Frauen durch Kinder seien alleine schon nicht akzeptabel. Mit Blick auf den sich weiter verschärfenden Fachkräftemangel sei es auch nicht hinnehmbar, dass viele gut und sehr gut ausgebildete Frauen wegen fehlender Kinderbetreuung zu Hause bleiben müssten und damit Stellen in Unternehmen zeitweise nicht besetzt, Aufträge nicht angenommen oder abgearbeitet werden könnten, Dienstleister früher schließen oder Gastronomen einen zusätzlichen Ruhetag einführen müssten, so Breuning. Deshalb fordert der BWIHK, den Ausbau der Kitaplätze und die Ganztagesbetreuung an Schulen schneller voranzutreiben. Durch mehr Angebote zur Kinderbetreuung könnten Fachkräftepotenziale von Frauen besser genutzt werden.

Die Industrie- und Handelskammern (IHKs) in Baden-Württemberg sehen bei Müttern enormes Potenzial, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Laut Statistischem Landesamt sind knapp die Hälfte der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Südwesten Frauen, fast jede Zweite arbeitet in Teilzeit – das sind gut 1,03 Millionen Frauen.

Die Kammern machen folgende Rechnung auf: Würden diese Frauen in Teilzeit jährlich eine Stunde pro Woche mehr arbeiten, entspräche dies jährlich mehr als 30 000 Vollzeitbeschäftigten in Baden-Württemberg – und damit einer deutlichen Verringerung des Fachkräftemangels. Bei der Rechnung wird von einer jährlichen Arbeitszeit (sozialversicherte Vollzeitbeschäftigte) von 1602 Stunden ausgegangen. Würden Beamtinnen und Selbstständige eingerechnet, wäre das Potenzial noch höher, so die IHKs.

Haupthemmnis sind Betreuungsangebote

An der Bereitschaft der Frauen liegt es offenbar nicht, vielmehr daran, dass vor allem Mütter ihre Arbeitszeitwünsche nur schwer realisieren können. Einer Bertelsmann-Studie von 2021 zufolge würden 17 Prozent aller Frauen gerne mehr arbeiten. Befragt wurden Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte. Haupthemmnis für Mütter, ihre Arbeitszeit auszuweiten, waren demnach nicht die Kinder, sondern der Mangel an Betreuungsmöglichkeiten oder zu hohen Kosten dafür.

Handlungsbedarf sehen die IHKs daher auch bei der Modernisierung der Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Zwar hätten viele Unternehmen bereits eine familienfreundliche Personalpolitik, flexible Arbeitszeiten, Jobsharing und mobile Arbeit, so BWIHK-Vizepräsidentin Marjoke Breuning, doch der Gesetzgeber müsse nachziehen. Im Fokus stünden flexiblere Arbeitszeitregelungen, die die individuellen familiären Betreuungsbedürfnisse stärker berücksichtigten. Anpassungsbedarf gebe es aber auch beim Homeoffice, bei mobilem und hybridem Arbeiten, ohne zusätzliche Bürokratie zu schaffen.

Hemmnis Kinderbetreuung

Kitaplätze
Eine Bertelsmann-Studie vom Oktober 2022 bescheinigt dem Land zwar einen massiven Ausbau der Kitaplätze. Die Nachfrage der Eltern und deren Rechtsanspruch auf Betreuung kann dennoch nicht immer gedeckt werden.

Quote
Die Quote der betreuten Kinder unter drei Jahren liegt mit 29 Prozent deutlich unter dem Bedarf von 41 Prozent. Es klafft also eine Lücke von 12 Prozent, in absoluten Zahlen fehlen 39 000 Kitaplätze. Bei den über Dreijährigen fehlen rund 18 000 Kitaplätze, insgesamt gibt es also 57 000 Plätze zu wenig. Bundesweit fehlen sogar mehr als 380 000 Kitaplätze.

Fachkräfte
Um die fehlenden Plätze zu schaffen, müssten die Kommunen als Träger der Kitas laut der Studie zusätzlich 16 800 Fachkräfte einstellen.