Viele Singles denken, online ihren Traumpartner kennenlernen zu können. Foto: Syda Productions - stock.adobe.com

Für Singles erscheinen Datingportale im Internet auf den ersten Blick wie die Lösung all ihrer Probleme. Bei so vielen Suchenden muss doch etwas dabei sein. Warum man bei Tinder und Co. aber schnell auf die Nase fallen kann, erklärt Paartherapeut Oliviero Lombardi.

Stuttgart - Ganz viele Frauen sind auf der Suche nach ihrem Traumprinzen. Um den Einen zu finden, landen sie oft auf Datingportalen und siehe da: Ein Traumprinz nach dem anderen. Oft geht es dann ganz schnell, man hat vielleicht Sex, aber zack ist der Prinz auch schon wieder verschwunden. Dann sehen sie online den nächsten Traumprinzen und denken „Boah, der ist ja noch toller!“ - und das Spiel wiederholt sich. Ich wage die Prognose, dass Frauen und auch Männer, die versuchen so eine gesunde Beziehung aufzubauen, es schwer haben werden.

Das heißt nicht, dass Online-Dating generell schlecht ist. Tatsächlich empfehle ich meinen Klientinnen und Klienten mit Nachdruck für die Partnersuche die neuen Medien zu nutzen. Gerade wenn man etwas älter ist und nicht mehr so viel im Nachleben unterwegs, hat man kaum noch Möglichkeiten, einen potenziellen Partner kennenzulernen. Und da sind Datingportale oder Apps eine riesen Chance.

Matching der Datingportale ist oft trivial

Bei so viel Auswahl muss man allerdings gut selektieren. Oft übernimmt das die Plattform durch sogenanntes Matching. Ich kenne durch meine Arbeit als Paartherapeut mittlerweile ziemlich viele Datingportale und oftmals ist dieses Matching dermaßen trivial und entgegen psychologischer Erkenntnisse, dass es mir graust. Die meisten Algorithmen agieren nach dem Prinzip „Du liest gerne, ich lese gerne. Du gehst gerne chinesisch essen, ich gehe gern chinesisch essen. Passt“. Das ist doch stinklangweilig, denn Verschiedenheit ist meist der Stoff, aus dem eine gute Beziehung entsteht. Sich gegenseitig ergänzen und inspirieren.

Gerade das Matching auf Tinder, wo man einer Person ein Like gibt oder sie ablehnt, indem man deren Foto nach links oder rechts wischt, sehe ich sehr kritisch. Ich würde gerne mal wissen, nach wie vielen Sekunden die durchschnittliche Entscheidung fällt. Ich schätze nicht mehr als ein oder zwei. Aufgrund dieser Struktur und dessen, wofür Tinder steht, findet man auch eine überdurchschnittliche Anzahl von extrem oberflächlichen Profilen. Wenn man auf Tinder ein Profil erstellt, wird man den Konkurrenzdruck spüren, man wird sehen, dass andere sich total selbstoptimiert darstellen, sowohl durch die Profilbilder, wie auch textlich. Wenn die Mitbewerber sich so geben, denkt man, dass man das auch muss. Man stellt sich ein Stück weit als Ware dar oder wie eingangs erwähnt: Als Traumprinz oder Traumprinzessin.

Im Grunde kann man jeden Menschen lieben lernen

Ich glaube, die Leute werden aufgrund dieser großen Auswahl wählerischer, was die Optik der Partner angeht. Man kann ja quasi endlos wischen. Gleichzeitig wird man unkritischer, was die Tiefe anbelangt. Das macht natürlich was mit den Menschen. Machen wir folgendes Gedankenexperiment: Man stelle sich vor, eine junge Dame sitzt in der Stadtbahn und wischt auf ihrem Handy Leute nach links oder rechts. Ihr gegenüber sitzt ein attraktiver junger Mann, der sie ganz aufgeregt beobachtet. Wenn sie das bemerkt, spürt sie allerdings ihre Gehemmtheit. Anstatt ihn anzusprechen wischt sie also lieber noch eine Weile auf ihrem Handy herum, bis er dann schließlich aussteigt. Denn das Wischen scheint viel einfacher.

Die Tragfähigkeit für eine gute Beziehung entsteht schlicht und ergreifend nicht aus Oberflächlichkeit. Im Grunde kann man jeden Menschen lieben lernen, wenn man dessen Inneres kennen und schätzen lernt. Ob der jetzt blonde Haare hat oder braune, 1,85 Meter groß ist oder nur 1,75, das spielt eigentlich gar keine Rolle. Nur beim Wisch und Weg spielt das sehr wohl eine Rolle.

Ohne Klarfoto agiert man mutiger

Deshalb empfehle ich meinen Klientinnen und Klienten, egal auf welcher Plattform, ein Foto zu verwenden, auf dem man sie gar nicht so gut erkennt. Aus der Deckung heraus agieren sie nämlich oft viel mutiger und sind ehrlicher was die eigene Person betrifft und kritischer beim Nachfragen. Falls es dann funkt, sollte man zunächst Telefonieren und erst als letzten Schritt ein Treffen vereinbaren. Also Schrittweise vorgehen, Verlieben findet letztlich eher live statt.

Wenn man die Sache so angeht, merkt man, dass nach einer ordentlichen Vorselektion die anfangs riesige Auswahl ganz schnell auf eine Handvoll potenzieller Partner schrumpft. Man merkt, dass man auf Plattformen wie Tinder schnell einen lahmen Arm bekommt, weil man dort 95 Prozent der Profile wegwischen muss. Und dass man vielleicht gar keine Traumprinzen mehr will, sondern einen echten Menschen, der genauso viele Ecken und Kanten hat wie man selbst.

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