Der Ingenieur Jürgen Ziegler lebt und arbeitet eigentlich ganz gerne in Backnang-Oberschöntal, und doch macht er sich Gedanken über einen Umzug. Foto:  

Jürgen Ziegler wartet seit vielen Jahren auf Glasfaserkabel. Der selbstständige Maschinenbau-Ingenieur aus Oberschöntal bei Backnang will seine Firmen und womöglich auch seinen Wohnsitz verlegen – wenn sich nicht bald etwas tut.

Backnang - Wenn Jürgen Ziegler im Internet eine größere Datenmenge herunterladen oder verschicken will, dann kann er parallel dazu nicht nur einen Kaffee kochen. Er könnte während dieser Zeit ganz locker auch noch ein paar Freunde und Bekannte zu einem Kaffeekränzchen empfangen. Der 55-jährige Mann hat sein Lachen ob dieses eklatanten Missstands in seinem Wohnort Oberschöntal bei Backnang zwar noch nicht verloren, mitunter aber vergeht ihm das Grinsen dann doch.

Der selbstständige Maschinenbauingenieur arbeitet für bekannte Firmen, unter anderem aus der Automobilbranche. Datenmengen, die andernorts in rund einer Minute beim Kunden seien, benötigten – abgeschickt in Oberschöntal – gut eine halbe Stunde, schimpft der Unternehmer. Immer wieder komme es vor, dass so ein Versuch, größere Pläne online zu versenden, komplett scheitere. Dann muss Ziegler es erneut versuchen – und das lange Warten beginnt von vorne.

Filme auf Netflix oder in den Mediatheken von ARD, ZDF oder anderen Sendern schauen? Könne man in dem idyllisch auf dem Lande und doch nah an Backnang gelegenen Ort komplett vergessen, sagt Ziegler.

Er hat keine Kinder, denn andernfalls würden ihm die Sprösslinge wohl die Hölle heißmachen und nur eins wollen: wegziehen aus diesem vom schnellen Internet abgehängten Teilort der selbst ernannten Murr-Metropole. Videokonferenzen abhalten? Auch das sei völlig unmöglich, sagt er.

Stadt rechnet mit 90 Prozent Zuschuss für den Ausbau

Jürgen Ziegler wartet nicht nur tagtäglich beim Versenden von Dateien, sondern auch seit vielen Jahren auf den sogenannten Breitbandausbau, sprich auf schnelles Internet via Glasfaserkabel in Oberschöntal. Er wohnt seit Langem im Ort, gearbeitet hat er früher in Remseck, dann in Erdmannhausen, wo die Internetanbindungen viel besser gewesen seien. 2016 der Neustart: Ziegler hatte sich von einem Kompagnon getrennt, das gemeinsame Büro aufgegeben und die neue eigene Firma Ziegler Ingenieure nach Oberschöntal verlegt, „weil es hier so schön ist“, weil der Weg von der Wohnung bis zum Arbeitsplatz nur ein paar Schritte weit ist. Und weil ihm und den anderen Gewerbetreibenden im Ort sowie jenen Bürgern, die im Homeoffice arbeiten, immer wieder in Aussicht gestellt worden sei, dass das Internet bald beschleunigt werde.

Ende 2018 haben sich viele Oberschöntaler zusammengetan und sich an die Stadtverwaltung gewandt. Der bisherige Wirtschaftsbeauftragte der Stadt Backnang, Ralf Binder, hat kürzlich im Gemeinderat zugegeben: Oberschöntal und ein paar andere kleine Siedlungen seien „grottenschlecht versorgt“. Online-Banking und selbst das Verschicken von E-Mails funktioniere mitunter gar nicht. Binder, der vor ein paar Tagen die Stadtverwaltung verlassen hat und jetzt in Freiburg arbeitet, hatte erklärt, dass ein sogenanntes Markterkundungsverfahren laufe. Dieses, so die Auskunft der Pressesprecherin der Stadt, Christine Wolff, sei nun abgeschlossen. Das Ergebnis: Es liege ein sogenanntes Marktversagen vor. Damit sollte die Voraussetzung erfüllt sein, dass Backnang eine stattliche Förderung für den Ausbau des schnellen Internets in den betroffenen Teilorten bekommen kann. Die Stadt rechnet mit 50 Prozent Zuschuss vom Bund und 40 Prozent vom Land, die maximale Förderhöhe liege bei 30 Millionen Euro, hatte Binder erklärt – und weiter: 2019 sei das Jahr der Vorbereitung, 2020 das Jahr der Umsetzung.

Schnellen Internets wohl erst 2021 realistisch

Der CDU-Stadtrat Gerhard Ketterer hatte gefragt, ob es nicht möglich sei, noch in diesem Jahr mit dem Ausbau zu beginnen. Die klare Antwort der Stadtverwaltung: Nein, das sei vollkommen unrealistisch. Die Stadtsprecherin hat jetzt auf Anfrage unserer Zeitung erklärt, dass man erst im Frühjahr 2020 mit der Zusage für die Fördergelder von Bund und Land rechne. Deshalb sei der Ausbau des schnellen Internets erst 2021 realistisch.

Ziegler sagt: „Wenn das bis 2020 nichts wird, ist es aus.“ Dann könne er seinen Betrieb nicht weiter in Oberschöntal führen, dann werde er sich umschauen nach einem alternativen Standort – zum Arbeiten und zum Leben. Aber wer weiß, wenn die Stadt eine feste Zusage machen kann für den Ausbau bis 2021, bleibt das kleine Ingenieurbüro womöglich doch erhalten. Und Jürgen Ziegler bleibt Backnanger Bürger und Gewerbesteuerzahler.