Der Markgröninger Vorfall wird vor dem Stuttgarter Landgericht verhandelt. Foto: dpa/Patrick Seeger

Er ging mit einem Messer auf einen Nachbarn los und traf ihn an der Schläfe. Jetzt steht der 42-Jährige Angreifer wegen versuchten Totschlags vor Gericht. Sein Motiv: eine Rache-Aktion.

Markgröningen - Es hätte anders ausgehen können für den 43-Jährigen aus Syrien: Als Notarzt und Rettungsdienst ihn in der Nacht zum 7. September 2019 in der Notaufnahme des Ludwigsburger Klinikums eingelieferten, blutete seine Kopfwunde so stark, dass die Assistenzärztin in der Unfallchirurgie eine Dreiviertelstunde für die Wundversorgung brauchte statt der üblichen 15 Minuten. „Von selbst“, sagte die Ärztin am Montag als Zeugin vor der Schwurgerichtskammer, „hätte das nicht zu bluten aufgehört.“

Die schwere Verletzung hatte dem Mann sein ebenfalls aus Syrien stammender Nachbar zugefügt. Der 42-Jährige, wie sein Opfer auch Familienvater, steht jetzt wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung vor Gericht. Er lebte zu diesem Zeitpunkt erst zwei Monate in der Markgröninger Unterkunft, aus der vorherigen hatte er ausziehen müssen, weil er wegen zu viel Lärms angezeigt worden war.

Doch auch im neuen Zuhause machte er sich in kürzester Zeit unbeliebt. Er hörte rücksichtslos laut Musik und beschimpfte seine Mitbewohner. Kurz vor dem Tattag zerstach er dem Besucher eines Nachbarn die Autoreifen – und wurde dabei von seinem späteren Opfer, das ein Stockwerk über ihm wohnte, beobachtet. Dieses sagte gegenüber der Polizei als Zeuge über die Reifen-Schlitzerei aus. Damit geriet er selbst ins Visier des impulsiven Mannes.

Das zweite Messer war schon griffbereit

„Heute ist dein Tag“, „Heute werd’ ich’s dir zeigen“, „Heute werde ich deinen Gott verbrennen“: So und ähnlich habe der Nachbar ihm gedroht, berichtete der 43-Jährige. Am Abend des 6. September 2019 setzte der Angeklagte die Kampfansagen in die Tat um. Einem weiteren Bewohner gegenüber kündigte er lauthals an, er werde nun die Autoreifen des ihm Verhassten zerstechen. Als dieser – er wollte gerade eine Tüte Müll entsorgen – dazustieß und fragte, was das solle, griff der Angeklagte ihn unvermittelt an und warf ein Glas nach ihm, das aber nicht traf, sondern auf dem Boden zerschellte. Dann wollte er mit einem Messer auf sein Gegenüber losgehen. Der unbeteiligte Mitbewohner fiel ihm in den Arm, auch ein weiterer hinzugeeilter Nachbar hielt den Täter ab.

Dieser fiel kurz zu Boden, wobei das Messer zerbrach, rappelte sich auf, rannte ein paar Meter weg, um sich dann aber mit einem weiteren Messer erneut auf sein Opfer zu werfen. Diesmal konnten die Nachbarn ihn nicht mehr halten. „Er war vorbereitet. Und er war richtig wild“, berichtete einer der beiden im Zeugenstand. Mit Wucht stach der Täter auf die Schläfe seines Opfers ein, das blutüberströmt und ohnmächtig zusammensackte. „Ich wäre tot, wenn die anderen nicht da gewesen wären“, sagt der Mann heute. Der Sohn eines der Helfer rief die Polizei. Die Situation sei zunächst unübersichtlich gewesen, berichtete eine Polizeihauptmeisterin. Das Opfer sei so voller Blut gewesen, dass sie die Verletzung selbst zunächst gar nicht entdeckt hätten.

Ein Liter Wodka täglich war die Regel

Der Täter sitzt seit dem Angriff in Untersuchungshaft und wurde in Handschellen ins Gericht geführt. Er räumte die Tat am Montag ein und entschuldigte sich bei seinem Opfer, das diese Entschuldigung jedoch nicht annahm. Er leide seit der Tat unter schweren psychischen Problemen und habe das Gefühl, die Menschen schauten ihn wegen seiner Narbe an, als sei er ein Verbrecher, haderte der Mann.

Welche Rolle Alkohol und Drogen bei der Tat spielte, wird noch zu klären sein: Der Täter gab an, seit mindestens 20 Jahren alkoholabhängig zu sein. Ein Liter Wodka am Tag sei die Regel gewesen, auch habe er täglich Haschisch geraucht – alles zum Kummer seiner Frau. Diese verfolgte die Verhandlung, wie die drei Kinder, von den Publikumsplätzen aus.

„Sie wollte, dass ich aufhöre und ein normaler Mensch werde. Aber ich hatte es nicht in der Hand.“ Ob er mal an eine Entzugstherapie gedacht habe, wollte der Vorsitzende Richter wissen. „So etwas gibt es in unserer Heimat nicht“, entgegnete der vorbestrafte Angeklagte. Er sei mit einer Stiefmutter aufgewachsen und habe schon als Kind arbeiten müssen. „Das Leben war schwer“, begründete er seine Sucht. Er wolle sich aber ändern. Die Verhandlung wird fortgesetzt.