Baden-Württtembergs Landespolizeipräsident Gerhard Klotter scheidet zum Ende dieses Jahres aus dem Amt. Er freut sich unter anderem auf mehr Zeit für seine Familie und auf Reisen mit dem Wohnmobil. Foto: /Lichtgut/Leif Piechowski

Das anhaltende Misstrauen in seine Organisation bereitet dem scheidenden Landespolizeipräsidenten Gerhard Klotter Sorge. Im Interview fordert er auf, sich an den Fakten zu orientieren.

Stuttgart . - Baden-Württembergs Polizeichef Klotter über nötige Befugnisse, einen angeblichen Rechtsruck und Angriffe auf Kollegen

Herr Klotter, Sie sind der erste Polizist, der in Baden-Württemberg Landespolizeipräsident geworden ist. Gegen diese Entscheidung gab es Bedenken. Konnten Sie diese nachvollziehen?

Es ging da um angeblich zu viel Korpsgeist und fehlende Kontrolle – eine Diskussion, die ich nicht nachvollziehen kann und die auch am Problem vorbeigeht. Wenn ich eine Organisation kontrollieren will, kann ich das doch am besten, wenn ich sie durchblicke.

Trotzdem hält sich ja bis heute ein Misstrauen gegenüber der Polizei.

Das ist ein Misstrauen in die ganze Hoheitsverwaltung des Staates. Immer dort, wo es um Eingriffsbefugnisse des Staates gegenüber dem Bürger geht, da melden sich kritische gesellschaftliche und politische Kräfte. Das Misstrauen reicht bis in die Gesetzgebung hinein. Wenn man der Polizei grundsätzlich den Missbrauch zutraut, dann wird sie gewisse Befugnisse nicht bekommen, die sie dringend braucht, um vernünftige Arbeit zu machen.

Sie spielen auf die Onlinedurchsuchung, etwa eines Smartphones, an, um terroristische und schwere Straftaten zu verhindern.

Genau. Während die Strafprozessordnung zur Verfolgung von besonders schweren Straftaten eine Rechtsgrundlage zur Onlinedurchsuchung enthält, lehnen die Grünen im Land diese als Maßnahme der Gefahrenabwehr leider strikt ab. Man tut so, als wäre die Polizei mit dem, was sie an rechtlichen und technischen Möglichkeiten hat, in der Lage, Massen zu überwachen. Das ist aus heutiger Sicht total unrealistisch und wird aus meiner Sicht auch in Zukunft, egal wo die technische Entwicklung hingeht, schon aus rein praktischen Gründen überhaupt nicht möglich sein. Wenn man von den Fakten ausgeht, ist das Bild von einem Überwachungsstaat, das da gezeichnet wird, vollkommen überzogen.

Wie gehen Sie damit um?

Ich glaube, dass wir das Misstrauen nicht entkräften können. Ich glaube aber auch, dass es nicht gerechtfertigt ist.

Würde ein parlamentarisches Gremium helfen, das die Überwachungsmaßnahmen der Polizei kontrolliert?

Mit einer parlamentarischen Kontrolle habe ich kein Problem. Über bestimmte polizeirechtliche Maßnahmen berichten wir dem Innenausschuss ja bereits heute schon. Aber insgesamt finde ich diese Diskussion schon etwas schräg. Erstens, die Polizei wird durch die Justiz kontrolliert, und als Organisation ist sie nicht per se so gestrickt, dass sie rechtswidrige Maßnahmen einkalkuliert, um zu Ergebnissen zu kommen. Zweitens geht es bei der präventiven Quellen-Telekommunikationsüberwachung und der Onlinedurchsuchung um ganz wenige, klar zu definierende Fälle der Gefahrenabwehr. Gleichzeitig ist inzwischen fast jeder Bürger bereit, intimste Details irgendwo öffentlich auf Plattformen im Internet zu kommunizieren, wo er nicht weiß, in welche Kanäle die Daten fließen. Und viertens stellt sich mir noch eine Frage: Wie weit sind wir beim Opferschutz?

Wie meinen Sie das?

Haben wir bei den Instrumenten, die wir der Polizei oder der Justiz zubilligen, die Opfer von Straftaten eigentlich im Blick? Da habe ich erhebliche Zweifel. In der gesellschaftlichen und politischen Diskussion geht es oft um die Rechte von Tatverdächtigen, bei der Vorratsdatenspeicherung sicher auch um die von Unbeteiligten, bei denen wir dann erst aufgrund einer entsprechenden Fakten- oder Indizienlage eine polizeiliche Eingriffsmaßnahme durchführen können. Jetzt nehmen Sie aber mal den Enkeltrick oder die Kinderpornografie – und die momentan mangelhafte Vorratsdatenspeicherung. Ohne diese Daten sind wir in Teilen nicht in der Lage, diese Straftaten zum Nachteil von alten Menschen und kleinen Kindern zu unterbinden oder aufzuklären.

Das gelingt der Polizei doch immer wieder.

Natürlich haben wir auch Ermittlungserfolge. Aber es gibt große Bereiche, wo wir vor dem Problem stehen, dass die Daten, die wir für eine rasche Aufklärung bräuchten, nirgendwo vorgehalten sind. Die Rechtsgrundlage ist umstritten, aber sie gibt’s. Die Provider sind verpflichtet, die Daten vorzuhalten. Sie tun dies nur deshalb nicht, weil die Bundesnetzagentur wegen eines Oberverwaltungsgerichtsurteils ihrer Überwachungs- und Sanktionierungspflicht nicht mehr nachkommt.

Zum Misstrauen gehört auch, dass von rechten Umtrieben innerhalb der Polizei die Rede ist, die nicht so aufgeklärt werden wie es sein müsste. Wie sehen Sie das?

Bei einer Organisation mit 32 000 Mitarbeitern werden Sie nie die Hand dafür ins Feuer legen können, dass einzelne nicht aus dem Ruder laufen. Die verfolgen wir auch disziplinarrechtlich. Aber wir reden hier von Einzelfällen, bei der Polizei Baden-Württemberg gibt es kein rechtsextremes Netzwerk, keine Vernetzungen. Zumindest habe ich keinerlei Anzeichen dafür.

Weil die anderen Parteien die unangenehmen Seiten des Flüchtlingszustroms lange schöngeredet haben, heißt es, viele Polizisten würden AfD wählen. Stimmt das?

Die Behauptung kenne ich auch. Aber es gibt Gott sei Dank ein Wahlgeheimnis. Ich weiß nicht, was meine Kolleginnen und Kollegen wählen. Was Flüchtlingssachverhalte angeht, muss man vorausschicken, dass die für die Polizei „unangenehmen Seiten“ nicht die große Masse der Flüchtlinge sondern eine auffällige Minderheit betreffen. Die Kollegen, die die Abschiebungen durchführen müssen, haben sicherlich ein kritisches Verhältnis zur Migrationslage – auch weil sie erleben, dass Abschiebungen an Sachverhalten scheitern, bei denen sie machtlos sind und die sie nicht ändern können.

Was führt noch zu Frustrationen?

Wenn ein Kollege zum Xten Mal mit der gleichen Person konfrontiert ist mit vergleichbaren Straftaten und er sieht, dass außer Haft nichts passiert, das heißt man die Person nicht außer Landes bekommt, weil man die Nationalität des Betroffenen erst feststellen und einen Staat finden muss, der ihn als seinen Staatsbürger anerkennt oder ein Abschiebehindernis besteht, das führt nicht unbedingt dazu, dass der Kollege an seinen Auftrag so richtig glaubt.

Ein anderes Problem ist, dass es seit einigen Jahren immer mehr Gewalt gegen Polizeibeamte gibt.

Selbstberufene Spezialisten und Experten bezweifeln das ja. Ich glaube da eher den Zahlen. Zu meiner Zeit, als ich im Streifendienst war, gab es Sachverhalte, die den Tatbestand des Widerstands erfüllt haben, die aber nie zur Anzeige gelangt sind, weil man das eher als Normalität betrachtet hat. In der Zwischenzeit hat eine Sensibilisierung stattgefunden, die sicher auch zu vermehrten Anzeigen geführt hat, das war aber vor Jahren. Die Zuwächse, die wir jetzt haben, liegen eindeutig daran, dass es mehr solche Sachverhalte gibt.

Was sind die Ursachen?

Ich wehre mich gegen diese monokausale Zuweisung, die Gesellschaft verrohe. Ich bin kein Ursachenforscher. Meine Wahrnehmung ist, dass das Phänomen der mangelnden Akzeptanz staatlichen Vorgehens durch breite Schichten der Gesellschaft geht. Das höchste Gut, das wir haben, ist die persönliche Freiheit. Berechtigterweise. Aber heute kann man Individualität stärker ausleben als früher. Die gesellschaftlichen Verpflichtungen sind in den Hintergrund gerückt.

Aus Ihrer Sicht ein Problem?

Wenn man die Individualrechte zu Lasten von Verpflichtungen gegenüber dem Staat und der Gesellschaft zunehmend stärkt – bei der Gesetzgebung, bei der Rechtsprechung, bei der Erziehung und in den Schulen –, dann werden Autoritäten wie die Polizei, die auch diesen gesellschaftlichen Anspruch transportieren, nicht mehr so ohne Weiteres akzeptiert.

Wie könnte man dem Trend begegnen?

Gute Frage. Ich habe kein Patentrezept. Ich glaube, dass die Grundlagen dafür in der Erziehung gelegt werden. Zu dem Zeitpunkt, in dem staatliche Institutionen ins Spiel kommen, ist schon viel passiert. Wenn ein Kind in die Schule kommt und Regeln lernen soll, nachdem es zu Hause keine Regeln gelernt hat, dann wird das nicht mehr so leicht funktionieren.