Der Mann am Mikro: TV-Experte Jürgen Klinsmann im Einsatz Foto: dpa

Bundestrainer Joachim Löw hat den Neuanfang auf dem Platz ausgerufen – der Privatsender RTL machte das am Mikrofon. Jürgen Klinsmann ist der Länderspielexperte des Kölner Senders. Und bietet dabei den Klinsi in Reinform.

Stuttgart/Amsterdam - Ein kurzer gedanklicher Sprint, und Jürgen Klinsmann hatte den Fehler entdeckt. Ein Experte, ein Blick – und eine knallharte Fehleranalyse. Der Aufbau und die Positionen stimmten nicht, alles war falsch geordnet. Und das ganze System erst: eine einzige Katastrophe! „Die Tabelle stimmt nicht“, sagte Jürgen Klinsmann also am späten Abend über das eingeblendete Tableau der EM-Qualifikationsgruppe G mit Österreich und Israel schmunzelnd wie bestimmt ins Mikro von RTL. Daneben saß Moderator Florian König in der Johan-Cruyff-Arena etwas verwirrt, der König fragte den Klinsi: „Weil?“ und: „Meinst du? Ich habe es hier auf dem Zettel eigentlich ganz genau so stehen“. Klinsmann war sich dann plötzlich nicht mehr ganz so sicher und ruderte zurück. „Nein, egal“, sagte er.

So ganz egal war diese Tabelle der Qualifikationsgruppe dann doch nicht - denn am Ende stellte sich heraus, dass die Tabelle tatsächlich falsch war. Bei der Abmoderation des Fußballabends von Amsterdam leistete König Abbitte bei Klinsmann. „Dir ist es sofort aufgefallen. Du hast recht gehabt, Israel war bei uns an der falschen Position“, sagte König. „Das hast du natürlich aus den Augenwinkeln gesehen.“

Klinsmann braucht Steherqualitäten

Der König machte also vor Klinsi den Diener - ist Jürgen Klinsmann, der neue Länderspielexperte beim neuen Länderspielsender RTL, also ein Allesseher? Gut möglich, denn Klinsmann war ja schon als Bundestrainer einer, der stets das große Ganze im Blick hatte, und nun gibt er im Nachlauf des WM-Qualispiels auch noch den Tabellenguru. Klinsmann in Hochform, wenn es gegen die Niederlande geht, das ist ja an sich nichts Neues – man denke da nur ans legendäre WM-Achtelfinale 1990 in Mailands Giuseppe-Meazza-Stadion, Klinsis Spiel des Lebens, als er nach den Platzverweisen gegen Völler und Rijkaard mit wehenden Haaren zehn Holländer alleine ins Verderben rannte.

Jetzt brauchte der Jürgen wieder Steherqualitäten. Übertragung von 20.15 an bis Mitternacht, das zehrt – aber Klinsi war da. Er war stets präsent. Und sei’s nur mit dem berühmten Klinsi-Grinsen. Aber: war er auch immer in Form? War Klinsmann also auch abseits der Tabelle der Gruppe G das, was er sein sollte? War er: ein guter Experte?

Lesen Sie hier: Die Pressestimmen zu Niederlande gegen Deutschland

Nun, was sich sagen lässt: Klinsmann blieb rund um den deutschen 3:2-Sieg von Amsterdam immer bei sich, bei seiner gewohnten Rhetorik, mit der er seine Jungs schon zu Bundestrainerzeiten rund um die WM 2006 heiß machte. Jetzt will er offensichtlich die Zuschauer in ihrer Wohnzimmerkabine mitreißen. Die fachliche Tiefe? Nun ja, die reichte zumindest am Sonntag noch nicht ganz an die tabellarische ran, was vielleicht auch damit zu erklären ist, dass der Jogi, der schon früher zu Klinsmanns Bundestrainerzeiten als dessen Assistent eher dafür zuständig war, nicht mehr an seiner Seite ist. Weil Löw halt immer noch an der Seitenlinie steht.

Kurze Klinsmann-Kostproben aus Amsterdam also? Vor dem Spiel: „Das ist das, wo’s ans Eingemachte geht. Das Stadion wird brennen.“ Erkenntnisse aus dem eher verkorksten Spiel vorher gegen Serbien in Wolfsburg (1:1)? „Die Abstände waren zu groß, wir waren zu weit weg.“ Und über die mögliche taktische Ausrichtung der Niederländer? „Das wird ein 4-3-3 klassisch, Johan-Cruyff-Schule, wir sind ja in der Johan-Cruyff-Arena.“

Nun ja…

Knapp zwei Stunden später dann schritt Joachim Löw über die Stadiontreppen ins gläserne König-Klinsi-Studio, Klinsmann stand auf zur Begrüßung, ein kurzer Handschlag - und zwei Espressi. Löw, der Liebhaber, bekommt von RTL nach dem Spiel immer einen auf den Moderationstisch gestellt, Klinsmann dieses Mal auch, was er selbst so erklärte: „Wenn wir schon Espresso haben, dann brauchen wir beide einen. Letztes Mal gegen Serbien hat der Jogi ihn ja nicht getrunken, jetzt hat er ihn sich verdient.“

Und der Jogi nickte und nippte brav.

Mein Klinsi – Willkommen zu Hause

Was dann folgte, nun ja, war die klassische Kaffeesatzleserei. Bisschen Tore anschauen und drüber reden, gab ja bei fünf insgesamt auch genug zum Gucken. Vorher schon hatte Klinsmann seine Flexibilität im Zusammenspiel von Nähe und Distanz im Umgang mit Jogis Jungs zur Schau gestellt: Es schuf die drei Klinsi-Formen: Form 1, nah dran: „Jogi wollte, dass wir mutig sind, hier haben wir sie unter Druck gesetzt.“ Form 2, etwas distanzierter: „Wie sie das gemacht haben, war fantastisch.“ Form drei, noch distanzierter: „Man hat sie nicht gelassen. Das hat sich die deutsche Mannschaft verdient.“

Jetzt also noch die Tore-Analyse. Das 1:2 der Niederländer? „Da können sie halt nicht klären, da kann man überlegen, ob man da hätte früher rausrücken können, sie haben dann den Zweikampf verloren in der Luft, dann ist er drin.“ Der Ausgleich zum 2:2? „Gestocher, da hatten wir nicht mehr die Kontrolle, dann legt er den Ball zurück, der Moment zu klären wurde verpasst.“

Nun ja, zweiter Teil...

Am Ende stand Löw auf und ging, eine kurze Umarmung folgte. Und ein breites Klinsmann-Grinsen. Und die Zuschauer? Konnten mit dem wohligen Gefühl ins Bett gehen, einen Klinsi in Reinform erlebt zu haben. Powered by emotion. Oder, im Sprech seines Senders: Mein Klinsi - Willkommen zu Hause.