Hildegard Ruoff – hier 2019 bei ihrem 100. Geburtstag mit Nürtingens Alt-OB Alfred Bachofer und OB Johannes Fridrich (rechts) – war Gastgeberin für die Menschen wie für die Kunst Foto: /Steffen Schmid

Das ist auch in der Kunstszene einmalig: ein Neustart mit 84 Jahren. Hildegard Ruoff hat mit ihrer Ausstellungsarbeit für die Fritz- und Hildegard Ruoff-Stiftung Geschichte geschrieben. Jetzt ist sie im 101. Lebensjahr gestorben.

Stuttgart - Im Gespräch mit Hildegard Ruoff musste man auf der Hut sein. Leise war sie im Ton, abwägend in der keiner Mode folgenden Wortwahl. Dabei informiert – über die Kunst, die Literatur, die Musik und geopolitische Aktualitäten. Nicht bestimmend in der Akzentuierung, aber bestimmt – und gerne mit in sanftes Lächeln gekleideter entwaffnender Direktheit.

Lebenspartnerschaft mit Fritz Ruoff

1919 in Stuttgart geboren, begegnet sie 1941 im Kunsthaus Schaller in Stuttgart dem 13 Jahre älteren Bildhauer und Maler Fritz Ruoff. Seit 1933 hat Ruoff Ausstellungsverbot. Die 22-jährige Kunsthändlerin Hildegard Scholl weiß, was Ruoff sucht – über bei Schaller zu findende Reproduktionen der in Hitler-Deutschland verfemten europäischen Moderne zumindest den Klang der ihn bewegenden Kunst.

In der Heimat fremd

1943 zieht das nun verheiratete Paar nach Nürtingen. Kein einfacher Schritt. Ruoffs Eltern führen eine Metzgerei samt Gasthof – eine gänzlich andere Welt, in der Fritz Ruoff, der alles Kunstschaffen aus der menschlichen Existenz und dem Freiheitswillen des Menschen begründet sieht, immer ein Stück ein Fremder bleibt.

Auf eigenen Wegen

Hildegard Ruoff arbeitet für den Lebensunterhalt – und für Fritz Ruoff. Sie notiert, beobachtet, ordnet, empfängt, macht Mut und strahlt vielleicht mehr noch als Fritz Ruoff dessen Überzeugung aus, dass jede Linie beseelt sein muss.

Für Hildegard Ruoff formuliert Kunst einen Anspruch. Das lebt sie. Das vermittelt sie. Das fordert sie. Von Fritz Ruoff wie von sich selbst. Im Aufbau der Stadtbibliothek, als Ausstellungsmacherin, als Ermöglicherin. Erst recht, als mit dem Tod von Fritz Ruoff 1986 der eigene Weg – auch als Fotografin – an Schärfe gewinnt.

Ruoff-Stiftung als Ort der Begegnung

Mit 84 Jahren erfindet sich Hildegard Ruoff noch einmal neu. In der vormaligen Fabrikantenvilla Pfänder, seit den frühen 1960er Jahren auch Wohn- und Arbeitsraum der Ruoffs, wird 2003 die Fritz- und-Hildegard-Ruoff-Stiftung eröffnet. Ein Ort für Ausstellungen, Lesungen, „für wirkliche Begegnungen“ (Ruoff).

Elly Weiblen-Schau als Vermächtnis

Wie die Stadt Nürtingen am Montagvormittag mitteilte, ist Hildegard Ruoff in der Nacht zum vergangenen Freitag verstorben – im 101. Lebensjahr. Die aktuelle Ausstellung der Ruoff-Stiftung wird so zum Vermächtnis. Die Bildwelt von Elly Weiblen zu präsentieren, hatte sich Hildegard Ruoff schon für 2019 vorgenommen.

Auch Marco Goecke kommt nach Nürtingen

In diesem Jahr sollte eine Premiere besonderer Art folgen, Star-Choreograf und Ballett-Direktor Marco Goecke auch als Zeichner vorgestellt werden. Ebenso wie der Einblick in die Bildwelt der Düsseldorfer Malerin Karin Kneffel wäre dies ein neuerlicher Höhepunkt für Hildegard Ruoff gewesen. Wegen der Corona-Pandemie sind beide Projekte in das Jahr 2021 verschoben. Ein ureigenes Projekt aber konnte Hildegard Ruoff noch konzipieren: Mit bisher nie gezeigten Werken und Fotos wird im November ein tiefer Blick in die Arbeitsweise des international bekannten Malers K.R.H. Sonderborg als Leiter einer Malklasse an der Stuttgarter Kunstakademie deutlich. „Diese Chance“, sagte sie dazu schon 2018, „muss ich ergreifen“.