Martina Geiger-Gerlach vor dem Gebäude Karlshofstraße 42 Foto: Schwieder

Bevor die Abrissbagger anrücken und das Projekt endet, wird es im „Raumwunder“ von Stuttgart-Steckfeld am 15. Juni noch eine Gemeinschaftsausstellung mit Wohnzimmerkonzert geben.

Plieningen - Nach zwei Jahren Laufzeit ist für das Projekt „Raumwunder“ im Steckfeld Schluss. Noch in diesem Jahr werden die Abrissbagger anrücken, um die Mehrfamilienhäuser des Siedlungswerks Stuttgart abzureißen. Mit einem rauschenden Fest, so hat sich Initiatorin Martina Geiger-Gerlach vorgenommen, werden sich die Beteiligten vom Steckfeld verabschieden. Zu feiern gibt es einiges, denn das Projekt, das zugleich ein Rückzugsort für Geflüchtete und ein ungewöhnlicher Ausstellungsort war, hat viele Diskussionen angeregt. Das Thema Leerstand auf dem Wohnungsmarkt, so sind sich alle Beteiligten einig, wird die Stuttgarter noch lange begleiten.

Hand in Hand renoviert

Das „Raumwunder“, so fasst Martina Geiger-Gerlach in einem Rückblick zusammen, hat viel Kraft und Zeit gekostet, doch die Erfahrungen waren überwiegend positiv. Schade sei nur, so findet die Plieninger Konzept- und Performance-Künstlerin, dass parallel nicht weitere Wohnungen bewohnbar gemacht wurden. Beim Eigentümer, dem Siedlungswerk, rannte die Künstlerin vor zwei Jahren mit ihrer Idee zumindest offene Türen ein. Schnell wurde ein Mietvertrag vereinbart, wobei das städtische Liegenschaftsamt als Mieter auftrat, auf die Betreiber aber kaum Kosten zukamen. Die Miete: kostenlos. Die Stromkosten: vom Sozialamt bezahlt. Alle weiteren Nebenkosten hat das Siedlungswerk selbst übernommen. Bei der Renovierung arbeiteten Geflüchtete und Mitglieder des Freundeskreises Flüchtlinge Plieningen und Birkach Hand in Hand. Gemeinsam gestalteten sie eine leer stehende Vier-Zimmer-Wohnung im Gebäude Karlshofstraße 42 nach einem Farbkonzept der Initiatorin. Wenig später wurde eine zweite, nicht renovierungsbedürftige Wohnung als Lernort für Asylbewerber eingerichtet.

Wohnung für Geflüchtete und Ausstellung in einem

Von da an durften Geflüchtete in unterschiedlichen Konstellationen die Wohnung als zeitweiligen Rückzugsort nutzen. Meist handelte es sich um zwei bis vier Wochen Erholung von der Enge der Flüchtlingsunterkünfte. Da war die Familie, die sich mit Verwandten aus anderen Bundesländern traf. Da gab es die Alleinerziehende, die mit ihren Kindern Ruhe suchte und das Bad mit Badewanne genoss. Da waren die Freunde, die gemeinsam kochten.

Ein Rückzugsort wird gelegentlich öffentlich

Etwa einmal im Monat, jeweils bei einem Mieterwechsel, gestaltete ein anderer Künstler die Räume neu. Für einen Freitagabend öffnete sich dann die Wohnung für alle, und das „Raumwunder“ wurde zu einem Ausstellungsort und Konzertraum zugleich. Musikalisch waren an diesen Wohnzimmerkonzerten vor allem junge Musiker aus der Region beteiligt. „Da gibt es überraschend viele allein in Plieningen“, hat Geiger-Gerlach festgestellt, dass ihr Konzept aufgegangen ist: Im „Raumwunder“ sollten diverse Generationen, Herkunftsländer, Sprachen und kulturelle Hintergründe zusammenkommen. An einem Abend kam sogar ein ehemaliger Bewohner vorbei, der dort seine Kindheit verbracht hat, und zeigte Familienfotos.

Ein neuer Blick auf die Kunst

Die Suche nach geeigneten Künstlern, die ehrenamtlich am „Raumwunder“ mitarbeiteten, erwies sich als unerwartet schwierig. „Man darf nicht vergessen, dass manche der Geflüchteten traumatisiert sind“, sagt die Initiatorin, „die Arbeiten durften nicht zu deprimierend sein, aber Ferienwohnungs-Deko konnten wir auch nicht brauchen“. Manches, was sie selbst als harmlos eingestuft hätte, löste bei den zeitweiligen Bewohnern Erinnerungen an den Krieg aus, manches war ihnen sehr ungewohnt. Doch das Angebot sollte sich gleichermaßen an den Intellektuellen aus Aleppo richten wie an diejenigen, die aufgrund ihres Bildungshintergrunds das Konzept Kunst und Wohnen nicht gleich nachvollziehen konnten. Sie selbst, meint Geiger-Gerlach, habe einen ganz anderen Blick auf die Kunst bekommen.

Unbürokratische Zwischennutzung

Für die Zukunft würde sie sich wünschen, dass der Gesetzgeber mehr Möglichkeiten zur unbürokratischen Zwischennutzung leer stehender Räume schafft. Da die Verfahren oft sehr lange dauern, Eigentümer aber schlecht ihren langjährigen Mietern kündigen können, um dann zeitweilig an Flüchtlinge zu vermieten, kommt es trotz leerer Wohnungen zu Engpässen auf dem Wohnungsmarkt. Das „Raumwunder“ war im Grunde ein Kunstgriff: Die Wohnung wurde zur sozialen Plastik erklärt, mit deren Existenz auch auf solche Leerstände aufmerksam gemacht wurde. „Kunst kann tatsächlich etwas bewegen“, freut sich Geiger-Gerlach.

Bevor die Abrissbagger anrücken, wollen sich die Beteiligten des Projekts „Raumwunder“ mit einer Gemeinschaftsausstellung und einem Wohnzimmerkonzert verabschieden. Das Abschlussfest an der Karlshofstraße 42 beginnt am Freitag, 15. Juni, um 19 Uhr. Das traditionelle Wohnzimmerkonzert bestreitet an diesem Abend die Plieninger Band Kids of Adelaide (Gitarre und Gesang). Initiatorin Martina Geiger-Gerlach wird zudem eine Foto-Dokumentation vorstellen.