Fotograf Jochen Dörsam und Galerist Norbert Nieser vor Bildern Dörsams aus seiner Ausstellung „Sex sells“ Foto: Caroline Holowiecki

Ein Fotograf aus Stuttgart-Vaihingen und ein Galerist aus Stuttgart- Degerloch erzählen, wie sie die aktuelle Corona-Krise meistern. Ganz einfach: Sie probieren etwas Neues aus – und versprechen sich davon eine ganze Menge.

Filder/Stuttgart - Der Wind wirft nicht nur das Haar nach hinten, er lässt auch den Mantel auffliegen. Darunter: nichts. Auf High Heels geht die Frau so vor dem Pariser Arc de Triomphe die Straße entlang. Was man auf dem Foto nicht sieht: Neben der so cool wirkenden Nackten sitzen Leute im Café. „Sie hatte drei Sekunden den Mantel auf, dann hatte ich die Hosen voll, und wir sind verschwunden“, sagt Jochen Dörsam grinsend. Er hat das Bild in der französischen Hauptstadt geschossen. Viele derartige Anekdoten hat der Vaihinger über die Ausstellung „Sex sells“ auf Lager, die er 2019 in der Degerlocher Galerie Norbert Nieser gezeigt hat. Doch mit Kunst und persönlichen Gesprächen ist das so eine Sache in der Corona-Krise. Beides findet seit Monaten nicht statt.

Obwohl das Land die Restriktionen mittlerweile gelockert hat und Galerien wieder öffnen dürfen, hält Norbert Nieser sein Haus an der Großen Falterstraße geschlossen. Eintritt nur nach Terminvereinbarung. Normalerweise wird hier im Sechs-Wochen-Rhythmus Neues gezeigt. Doch Vernissagen, die den Ausstellenden Geld in die Kassen bringen, sind noch verboten. „Die Künstler sind die Geprügelten. Ich kann ihnen nicht aufoktroyieren, etwas Neues zu produzieren“, erklärt der 63-jährige Galerist und Fotograf. Um sein Haus dennoch mit Leben zu füllen, zeigt er aktuell Bilder aus dem Bestand. Drei „Sex sells“-Fotos von Jochen Dörsam hängen am Eingang.

Norbert Nieser spricht von einem „Selbstrenner“

Tatenlos bleiben will das Duo aber nicht. Die beiden haben jüngst ein neues Format aus dem Boden gestampft. Vergangene Woche fand der erste Art-Talk statt, quasi eine virtuelle Vernissage. Der Vaihinger Fotokünstler, der unter dem Namen „The Art of RAW“ arbeitet, sprach bei der Premiere über die Online-Konferenzsoftware Zoom mit etwa 30 Interessierten über seine Bilder und sein Konzept. Das sei gut angekommen. Norbert Nieser spricht von einem „Selbstrenner, du erreichst auch ein Publikum außerhalb von Stuttgart“. Die Art-Talks sollen beibehalten werden und zur Serie werden. Die Themen sollen spontan entstehen, sagt Norbert Nieser, ankündigen will er sie auf der Facebook-Seite der Galerie. „Da kann was draus werden“, glaubt Jochen Dörsam (56).

Auch der mehrfach preisgekrönte Fotokünstler hat sich neue Konzepte überlegt, denn die meisten Shootings oder Workshops entfallen aktuell. Zwar ist die Fotografie nur das zweite Standbein des IT-Beraters, dennoch sagt er: „Man muss ja irgendwas machen in der Zeit. Wenn man den Kopf in den Sand steckt, wird es nicht besser.“ Deswegen plant er einen virtuellen Fotostammtisch. Dort sollen sowohl Lichtbildner als auch Models aus dem ganzen Bundesgebiet zusammenkommen und sich austauschen können. Einzelne Künstler sollen zudem die Gelegenheit bekommen, ihre Werke vorzustellen. Dieser Tage soll das Ganze online gehen, Kontakt knüpfen kann man über Jochen Dörsams Facebook-Seite „The Art of RAW“. Er betont: „Krisen waren schon immer Chancen.“