Sylvia Winkler und Stefan Köperl vor ihren Arbeiten im Kunstmuseum Foto: Armin Friedl

Am 3. April geben Sylvia Winkler und Stefan Köperl im Kunstmuseum Einblick in ihr Schaffen in der Reihe „Szenefester“

Stuttgart - Es gibt viele Sehnsuchtsorte auf dieser Welt, die mit sehnsüchtigen schmachtenden Melodien besungen werden seit Künstlergenerationen. Einen von diesen Schlagern haben Sylvia Winkler und Stefan Köperl in ihrer Arbeit „Gelegenheitsverkehr“ aus dem Jahre 2011 aufgegriffen. Allerdings erwähnten sie da im Refrain als Sehnsuchtsorte etwa Novi Pazar, Casarano, Bijeljina, Čapljina oder Strzelce Opolskie und viele andere, die wohl vor allem den dort Einheimischen vertraut sein dürften. Deshalb ist ihr Gesang auch etwas skurril, da sich diese Namen nicht unbedingt der Form dieses Ohrwurms beugen.

Fernweh in Obertürkheim

Der Anlass dazu war für die beiden die Baustelle Stuttgart 21 oder besser die Konsequenz daraus, den Fernbus-Bahnhof zu verlegen, irgendwo ins Industriegebiet von Obertürkheim. Orte des Fernwehs sehen schließlich anders aus.

Und genau das reizt die beiden. Sie gehen gerne an Orte, in denen es große Entwicklungen gibt, wo zumindest mal in ganz großem Stil geplant und nachgedacht wird. Und wo dann eben quasi als Kollateralschaden solche Unorte entstehen wie eben jener Fernbusbahnhof. Eine ganz andere Qualität hat das, wenn Menschen deshalb die Existenzgrundlage genommen wird, wenn sie ohne Alternativen ihre gewohnte Umgebung verlassen müssen. Und dann gibt es eben auch Gegenden auf dieser Erde, wo schon sehr lange, zum Teil schon seit Jahrhunderten, etwas schief gelaufen ist.

18 Wähler mehr an den Wahlurnen

In Indonesien haben sie etwa die Parlamentswahlen 2014 mit der Aktion „+0,000001 %“ unterstützt. Dazu haben Winkler und Köperl eine Sänfte auf Rädern gebaut, mit der sie durch einige Dörfer gezogen sind. Ihr Ziel: Sie haben die Wähler aufgefordert, die Sänfte zu besteigen, damit sie so zu den Wahllokalen gebracht werden. Vor der Sonne schützte sie ein Baldachin, bestehend aus den Symbolen der zur Wahl stehenden Parteien. Winkler beschreibt, was auf einem Video auch gut zu sehen ist: „Die Leute waren sehr irritiert, zum Teil auch amüsiert, da wir die Verhältnisse umgedreht haben. Üblich ist dort, dass die europäischen Touristen in die Sänften steigen, um von Indonesiern getragen zu werden. Jetzt war es genau anders herum“. Immerhin: 18 Indonesier haben da mitgemacht, die meisten lachend, höchstens am Anfang etwas irritiert und verunsichert. Und Winkler und Köperl haben so dazu beigetragen, dass die Beteiligung an dieser Wahl um 0,000001 Prozent höher ausgefallen ist.

Es gäbe noch viele solcher Beispiele, die eines zeigen: Winkler und Köperl haben einen galligen und hintergründigen Humor. Und die beiden sehen auf den Videodokumentationen ihrer Arbeiten auch gar nicht so aus, als wollten sie da nun unbedingt größere Lacherfolge erzielen.

Viele Stipendien

Auch ihr Atelier auf dem Wagenhallen-Areal wirkt nicht unbedingt wie ein Humorlabor. Eher wie ein Ort, an dem über grundsätzliche Strategien nachgedacht wird, an dem man sich auch nicht allzu lange aufhält. Denn Stadterkundungen betreiben, das ist etwas, das vor allem vor Ort gemacht wird. Und dazu sind die beiden viel auf der ganzen Welt unterwegs, auch oder gerade an Orten, für die sich Touristen mit Sicherheit nicht interessieren. Das machen sie mal auf eigene Kosten, mal auf Einladung. „Wir bewerben uns viel auf Stipendien“, sagt Köperl. „Da ist heute dank Internet mehr möglich als früher“. Das Schreiben von Bewerbungen ist auch so eine Aufgabe, die man gut im Wagenhallen-Areal bewältigen kann.

„Interventionen im urbanen Raum“ heißt diese Vorgehensweise, mit der die beiden seit 1997 arbeiten. „Unsere Projekte entwickeln wir aus unseren Beobachtungen vor Ort“, sagt Winkler. „Daraus erarbeiten wir etwas speziell für die jeweilige Situation und für einen bestimmten Zeitraum. Das dokumentieren wir auf Fotos und Videos.“ Das geht dann über Bestandsaufnahmen hinaus, die kulturellen Zusammenhänge spielen ebenso eine Rolle und natürlich der Blick darauf von den beiden.

Präsentation in der Reihe „Szenefenster“

Was die beiden so machen, das hat auch schon die Stadt Stuttgart neugierig gemacht, die einiges von diesen Arbeiten aufgekauft hat. Einige Beispiele davon zeigt derzeit das Kunstmuseum am Schlossplatz in der Reihe „Szenefenster“. Allerdings ist die Ausstellung wegen der Coronakrise derzeit geschlossen. Zu den Exponaten gehört auch die eingangs erwähnte Arbeit „Gelegenheitsverkehr“ zum Stuttgarter Fernbusbahnhof mit dem abgewandelten Sehnsuchtsgesang.