Wie soll die Bundesregierung mit den Aktivisten der Demokratiebewegung in Hongkong (hier im Bild) umgehen? Und wie sich gegenüber Peking verhalten? Foto: dpa/May James

Opposition und Menschenrechtler kritisieren die China-Politik der Bundesregierung schon lange. Doch nun fordern auch Vertreter der Koalition einen härteren Kurs gegenüber Peking. Die aufsteigende Supermacht wird als „Systemkonkurrent“ gesehen.

Berlin - Zwölf Reisen nach China hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) seit Beginn ihrer Amtszeit unternommen. Allein diese Anzahl der Besuche ist ein Beleg für die wichtige Rolle, die das Land aus Merkels Sicht wirtschaftlich und politisch spielt. Bei den Besuchen der Kanzlerin waren die Handelsbeziehungen stets ein großes Thema. Menschenrechtsverletzungen sprach Merkel meist hinter verschlossenen Türen an, um ihre Gegenüber nicht zu verärgern. Hinter dieser Taktik stand die Hoffnung, dass sich China durch enge Wirtschaftsbeziehungen zum Westen auch gesellschaftlich öffnet, zu einem verantwortungsbewussten Partner auf internationaler Bühne wird.

SPD-Außenpolitiker: China ist ein Systemkonkurrent

Menschenrechtsorganisationen und Oppositionspolitiker kritisieren diesen Kurs schon lange. Inzwischen mehren sich aber auch in der großen Koalition die Forderungen nach einem härteren Kurs gegenüber der aufsteigenden Supermacht.

Hintergrund ist der rücksichtslose wirtschaftliche, politische und auch militärische Machthunger des Landes unter Präsident Xi Jinping. Die drakonische Reaktion auf die Proteste der Demokratiebewegung in Hongkong nährt außerdem die Erkenntnis, dass Chinas wirtschaftlicher Aufstieg nicht zur politischen Einbindung des Riesenreichs führte.

Der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid zieht daher eine düstere Bilanz: „Die deutsche China-Politik der vergangenen Jahre funktioniert nicht“, sagte der Baden-Württemberger unserer Zeitung. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass China nicht nur Partner und Wettbewerber ist, sondern eben auch ein Systemkonkurrent.“ In einem aktuellen Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion zu China heißt es, dieses Gegeneinander der politischen Systeme bestimme „letztendlich das Ausmaß, wie die Partnerschaft mit China konkret ausgestaltet werden kann und beeinflusst auch die Art und Weise des wirtschaftlichen Wettbewerbs mit China“.

Seehofer warnt vor Pekings Spionage

Auch in Merkels Union wächst die Kritik an China. Innenminister Horst Seehofer (CSU) sieht in dem Land ebenfalls einen „Systemwettbewerber“, der „knallhart seine Interessen vertritt“. Dies sei in der Corona-Krise deutlich geworden, als China nach Entdeckung des Virus erst nur wenige Informationen weitergegeben habe, sich dann aber mit der Verteilung von Schutzmaterial international als Helfer aufgespielt habe. Seehofer warf Peking in der „Welt am Sonntag“ zudem vor, Deutschlands kritische Infrastruktur auszuspionieren, und warnte: „Von China gehen hybride Bedrohungen aus, denen wir uns stellen müssen.“

Auffälligster China-Kritiker aus den Reihen von CDU und CSU ist der Außenpolitiker Norbert Röttgen. In einer Bundestagsdebatte zu dem drastischen chinesischen Sicherheitsgesetz für Hongkong warnte der Kandidat für den CDU-Vorsitz bereits Ende Mai: „Es hat Konsequenzen, wenn China für solche Unrechtsakte nur Schweigen in Europa und im Westen erfährt.“ Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes forderte Röttgen: „Die Sprache gegenüber China muss eindeutig klarer werden.“ Doch bislang hält sich die Bundesregierung mit scharfer Kritik zurück. „Die Beziehungen zu China sind wichtig, sie sind von strategischer Bedeutung“, sagte Merkel vor wenigen Tagen über die Lage in Hongkong lediglich.

Grüne erwarten Klartext von Merkel

Bei der Grünen-Abgeordneten Margarete Bause lösen solche Aussagen Kopfschütteln aus. „Ich erwarte von der Kanzlerin gerade in ihrer Rolle als EU-Ratsvorsitzende, dass sie Klartext gegenüber der chinesischen Führung redet“, sagte Bause unserer Zeitung. „Denn je zurückhaltender Deutschland und Europa auf den aggressiven Kurs Chinas reagieren, desto mehr sieht dessen Regierung das als Einladung, so weiter zu machen.“

Die Bundesregierung müsse umgehend das Auslieferungsabkommen mit Hongkong aussetzen und für bedrohte Menschen von dort Aufnahme- und Aufenthaltsmöglichkeiten schaffen. Sanktionen gegen die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen hält Bause ebenfalls für möglich. Auch Koalitionspolitiker sind im Umgang mit China inzwischen zu Konsequenzen bereit, selbst wenn sie wirtschaftlich schmerzhaft sind.

Wenn China in Hongkong oder anderswo die Menschenrechte untergrabe, stehe auch die Glaubwürdigkeit der EU sowie der viel gerühmten regelbasierten internationalen Ordnung auf dem Prüfstand , sagte der Unions-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter unserer Zeitung: „Geschäftssinn darf nicht in Konkurrenz zu Menschenrechten stehen, im Zweifel geht der Schutz der Menschenrechte und der internationalen Ordnung vor.“