Michael Sailer ist als Experte anerkannt. Er steht wegen einer Doppelfunktion in der Kritik. Foto: Öko-Institut

Kretschmann wäre bereit, ein Endlager aufzunehmen, wenn im Südwesten der beste Standort liegt. Doch nun gibt es Kritik an der neuen Endlagersuche: Der Experte Michael Sailer berät die Bundesregierung – und die Firma, die das Endlager bauen soll.

Stuttgart - Acht Jahre ist es her, dass mit großem Ehrgeiz die Suche nach einem Atomendlager neu gestartet wurde. Wenn es eine Devise gab, die die neue Suche nach dem am besten geeigneten Standort für die dauerhafte Lagerung der strahlenden Hinterlassenschaften aus der Kernenergie, kennzeichnen sollte, dann die, dass diesmal alles anders als bei Gorleben laufen soll. In einem transparenten, wissenschaftlich fundierten Verfahren soll ausgehend von einer weißen Deutschlandkarte, unter Aufsicht der Behörden, bei kontinuierlicher Information und Beteiligung der Bürger der am besten geeignete Endlagerstandort gefunden werden – friedlich und ohne Streit, der die Republik zerreißt.

Der Anspruch ist hoch. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat den Weg für den Neustart freigemacht, als er im April 2011 – schon gewählt, aber noch nicht im Amt – die Bereitschaft erklärte, das Lager aufzunehmen, falls der am besten geeignete Standort im Südwesten liegt.

Was bereits passiert ist

Inzwischen ist nicht nur ein Standortauswahlgesetz beschlossen, die Struktur aus ausführendem Unternehmen, aufsichtsführenden Behörden und Begleitgremien steht, und die Suche hat begonnen. In einem Jahr werden die ersten Flecken auf die weiße Landkarte getupft: Im vierten Quartal 2020 werden die aufgrund ihrer Bodenbeschaffenheit ungeeigneten Regionen für ein Lager von hoch-radioaktivem Müll benannt und von der weiteren Endlagersuche ausgeschlossen.

Damit wird klar, welche Regionen eventuell – vorbehaltlich vieler weiterer Untersuchungen – als Standort geeignet sein könnten. Zu diesem Zeitpunkt wird der neue Auswahlprozess den ersten Lackmustest im Blick auf seine befriedende Wirkung bestehen müssen.

Berater mit Doppelrolle erhitzt die Gemüter

Vor diesem Hintergrund gewinnt die Kontroverse an Gewicht, die sich an der Beratertätigkeit des renommierten Nuklearexperten Michael Sailer entzündet. Sailer hat bis zu seinem vor kurzem angetretenen Ruhestand beim Ökoinstitut in Freiburg gearbeitet, kennt die komplette Geschichte der Endlagersuche in Deutschland fast schon seit den Anfängen in Gorleben aus dem Effeff und hat sie in verschiedenen Funktionen mitgestaltet und begleitet.

Dass er nun aber einerseits Vorsitzender der Entsorgungskommission ist – und damit wichtiger Berater des Bundesumweltministeriums bei allen Endlagerfragen – andererseits eine Beratertätigkeit bei der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) aufgenommen hat, die das Endlager bauen und betreiben soll, schlägt jetzt Wellen. Dass sein Beratervertrag – über vier Jahre und 388 800 Euro Honorar – ohne Ausschreibung zustande gekommen ist, wie die „taz“ als erstes berichtet hat, verschärft das Problem. Dass er und die für Finanzen zuständige BGE-Geschäftsführerin Beate Kallenbach-Herbert sich aus gemeinsamen Zeiten beim Ökoinstitut kennen, kommt hinzu. Der Vorgang hat das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) auf den Plan gerufen. Dem Amt obliegen Genehmigung und Regulierung aller Endlagerfragen und die Aufsicht über die Endlagersuche und die BGE.

Aufsichtsbehörde befürchtet Schaden für die Glaubwürdigkeit der Endlagersuche

Die Aufsichtsbehörde befürchtet im Fall Sailer zweierlei: Dass seine Beratertätigkeit für das Ministerium, das die Regeln für die Endlagersuche absteckt, und für den Betreiber, der die Regeln einzuhalten hat, sich überschneiden, wertet das Amt als klaren Interessenskonflikt und als Bruch der effektiven Trennung zwischen Regulierungs- und Betreiberorganisation. Das geht aus einem Schreiben des BfE an das Unternehmen hervor, das unserer Zeitung vorliegt. Mehr noch: „Eine solche Beauftragungspraxis“ sei „geeignet, der Glaubwürdigkeit des Standortauswahlverfahrens Schaden zuzufügen“, heißt es in dem Brief.

Die BGE weist in seiner Antwort die Argumentation zurück. Stattdessen sei Sailers Berufung geeignet, einen „Brückenschlag“ über die zwei Jahrzehnte dauernde Debatte der Endlagerung zu gewährleisten. Zur Beilegung des Konflikts hat das nicht beigetragen.

Bundesamt: Trennung ist zu wahren

Das Bundesamt hat in einem zweiten, vom 11. November datierenden Schreiben seine Auffassung bekräftigt, dass auch bei Beraterverträgen „die effektive funktionale Trennung zwischen den Organisationen zu wahren ist“.

Die Behörde fordert das Unternehmen unmissverständlich auf, ein solches Vorgehen in Zukunft zu unterlassen und stattdessen „jeweils frühzeitig und initiativ über die Einbeziehung einer externen fachlichen Beratungsleistung mit ihrer Aufgabenbeschreibung und Zeitdauer öffentlich zu informieren“.

Auch in der Landesregierung beginnen die Alarmglocken zu schrillen

Im Bundesumweltministerium ist die Prüfung des Falls noch nicht abgeschlossen, hieß es auf Anfrage. Aber der Fall weckt Besorgnisse nicht nur im Bundestag, sondern auch bei der Landesregierung in Stuttgart. Zwar zweifelt niemand an Michael Sailers Expertise. Aber Sylvia Kotting-Uhl (Grüne), die Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag, sieht die „Gleichzeitigkeit der Tätigkeit für die BGE und der Beratung des Bundesumweltministeriums in der Entsorgungskommission kritisch“. „Das hat in jedem Fall ein Gschmäckle, und da kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen“, erklärt auch der linke Bundestagsabgeordnete Hubertus Zdebel.

Auch bei Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) haben die Alarmglocken begonnen, leise zu klingeln. Schon aus seiner eigenen Zeit beim Ökoinstitut schätzt Untersteller Sailers Kompetenz, hält sie, wie er unserer Zeitung erklärte, bei der Endlagersuche für „unverzichtbar“. „Der Prozess ist allerdings hoch sensibel, und wir dürfen ihn nicht gefährden“, setzt der Minister besorgt hinzu. „Ich hoffe, dass das allen Beteiligten klar ist.“