Steffen Maisch sichtet viele Unterlagen, hier ist nur ein Bruchteil zu sehen. Foto: Werner Kuhnle

Student Steffen Maisch recherchiert über Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, die in Marbach lebten.

Marbach - Das Ende des Zweiten Weltkrieges liegt 75 Jahre zurück. Gedenkfeiern müssen zwar größtenteils ausfallen, im Marbacher Stadtarchiv steht dieses düstere Kapitel der Geschichte derzeit aber dennoch im Fokus. Denn dort recherchiert der Student Steffen Maisch über Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, die in Marbach untergebracht waren. Der 21-Jährige hat sich des Themas auf Eigeninitiative im Rahmen seines bis Ende August dauernden Praktikums angenommen – bevor dann sein Abschluss auf dem Weg zum Diplomarchivar ansteht. Stadtarchivar Albrecht Gühring ist erfreut über das Projekt. „Es gibt zwar immer wieder Schülerarbeiten, etwa über Fluchtursachen. Dieses spezielle Thema ist aber nicht weiter erforscht.“ Falls daraus nun ein Aufsatz entstehe, könne er sich gut vorstellen, dass dieser in den Ludwigsburger Geschichtsblättern publiziert wird. „Wir würden das jedenfalls unterstützen.“

Die Grundlage dafür scheint gegeben. Zum einen, weil Steffen Maisch einige Quellen zusammentragen und bereits sichten konnte. „Dafür, dass auch in Marbach nach dem Kriegsende viele Unterlagen vernichtet wurden, war ich doch erstaunt, was bei der Suche alles zusammenkam“, sagt der Student. Zum anderen kennt er sich mit dem Thema gut aus, da er in seiner Heimatgemeinde Hemmingen, in der er im Vorstand des Ortsgeschichtlichen Vereins sitzt, ebenfalls darüber recherchierte.

Als Dokumente dienen ihm Sterbeurkunden, das Heiratsregister, bei der Polizei aufgegebene Anzeigen oder auch Arbeiten zur Stadtgeschichte. So fand Steffen Maisch bereits heraus, dass es im Zweiten Weltkrieg in der Schillerstadt Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene aus mindestens 17 Nationen gab – von Frankreich und den Benelux-Staaten über das Baltikum, Russland und Osteuropa bis Griechenland. Bereits vor dem Krieg waren Italiener gekommen.

Die Daten, wann welche Nation vertreten war, spiegeln dabei das Kriegsgeschehen wider. „Je nachdem, welche Gebiete besetzt wurden, waren wenige Monate Menschen von dort hier untergebracht“, stellte Maisch fest. Unterschieden wird zwischen Zivilarbeitern, die oft mit der Familie hier lebten und sich anfangs freiwillig meldeten, Zwangsarbeitern sowie Kriegsgefangenen. Das Ansehen war unterschiedlich. Hatten die Zivilarbeiter mehr Freiräume, durften die Kriegsgefangenen ihre Arbeitsstätte und das Lager meist nicht verlassen. Arbeiter aus Belgien oder den Niederlanden galten eher als germanisch und wurden besser behandelt, während Russen und Ukrainer in der Rangliste ganz unten standen. Der Kontakt zur Bevölkerung war generell verboten. „Daran, dass kurz nach dem Kriegsende Arbeiter Frauen aus Marbach geheiratet haben, sieht man aber, dass man sich trotzdem kennengelernt hat.“

Untergebracht waren die Menschen unter anderem im so genannten Lager Berger im Eichgraben, das die gleichnamige Firma für den Bau des Kraftwerks angelegt hatte, der durch den Krieg unterbrochen wurde. Auch die Spielplatzhalle an der heutigen Festwiese diente als Unterkunft, in der zwischenzeitlich 60 Franzosen und Polen lebten. Die Halle wurde von zwei Wächtern bewacht. „Das waren oft ältere Männer, die nicht mehr für den aktiven Dienst geeignet waren“, so Steffen Maisch. Er ist aber auch darauf gestoßen, dass ein Elfjähriger die Männer nach Arbeitsende Abend für Abend vom Feld zurück ins Lager führte. Weitere Arbeiter aus dem Ausland lebten direkt bei Bauernfamilien, wo es ihnen im Vergleich meist deutlich besser erging.

Verzeichnet sind auch zwei Todesfälle – ein 30-jähriger italienischer Zivilarbeiter und ein gleichaltriger französischer Kriegsgefangener. Begraben sind sie hier nicht mehr. Der Italiener etwa wurde 1957 nach Frankfurt umgebettet, wo es einen Friedhof für italienische Kriegstote gibt. Durch Zufall ist Maisch darauf gestoßen, dass auch im Ersten Weltkrieg ein Italiener und ein Franzose in Marbach starben, die wohl aus dem Kriegsgefangenenlager in Eglosheim kamen. Und: Ein französischer Kriegsgefangener namens Edouard lief laut Maischs Recherche beim Kriegsende 1945 den anrückenden Amerikanern entgegen, um ihnen klarzumachen, dass in der Stadt kein Widerstand zu erwarten ist. Mit dem ersten Wagen der Amerikaner wurde der Franzose zurück in die Stadt gefahren – schließlich war er ja auch ortskundig. Nach Kriegsende wanderten dann viele Arbeiter nach Nordamerika aus. Steffen Maisch: „In ihrer Heimat wurden sie als Verräter angesehen, auch wenn sie meist nicht freiwillig hier waren.“