Die Tageszeitung „The Boston Globe“ hat 350 Zeitungen zu einer außergewöhnlichen Protestaktion gegen Trumps Krieg gegen die Presse aufgerufen. Foto: AFP

US-Präsident Donald Trump führt Krieg gegen kritische Medien. Nun melden sich 350 Zeitungen mit einem dramatischen Aufruf für die Pressefreiheit zu Wort. Die Aktion ging von der liberalen Tageszeitung „The Boston Globe“ aus.

Washington - Die Redaktion der Meinungsseite des Topeka Capital-Journal hatte sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Immerhin kann die zweitgrößte Zeitung im US-Bundesstaat Kansas ihre stolzen Wurzeln bis ins Jahr 1879 zurückverfolgen. Donald Trump sei ein Pöbler und kein richtiger Politiker, diskutierten die Journalisten. Doch das Land brauche eine radikale Veränderung. „Trump ist dreist. Trump ist kampfeslustig. Trump ist wagemutig. Er ist die beste Wahl, unsere desillusionierte Nation in die Zukunft zu führen“, postulierte das Blatt drei Tage vor der Präsidentschaftswahl im November 2016.

Das Capital-Journal mit einer Auflage von rund 30 000 Stück war eine der wenigen US-Zeitungen, die vor zwei Jahren zur Wahl von Trump aufriefen. Umso überraschter dürften die Leser in der traditionell republikanischen Weizenkammer Amerikas gewesen sein, als sie das Blatt am Donnerstag aufschlugen. „Die Presse ist nicht der Feind des Volkes“, war der Leitartikel fett überschrieben. Der Kommentator betonte, dass das vom Präsidenten gerne benutzte Schimpfwort in Stalins Sowjetunion gegen Dissidenten und in Nazi-Deutschland gegen Juden verwendet wurde. „Journalisten sind es gewöhnt, beleidigt zu werden“, hieß es weiter: „Aber ein Feind des ganzen Volkes genannt zu werden, ist etwas anderes. Es ist unheimlich. Es ist zerstörerisch. Und es muss nun enden!“ Mit diesem ungewöhnlichen Appell steht das Capital-Journal nicht allein.

350 Tageszeitungen melden sich mit dem selben Leitartikel zu Wort

Insgesamt 350 Tageszeitungen vom Arizona Daily Star bis zur Plymouth Review in Wisconsin veröffentlichten am Donnerstag Leitartikel mit ähnlichem Tenor. In einer einzigartigen Aktion räumte die New York Times ihre komplette Kommentarseite frei. In einem kleineren Text verurteilte sie die „gefährlichen Angriffe“ der Regierung und rief ihre Leser auf, eine Lokalzeitung zu abonnieren. Vor allem aber druckte sie Kommentarauszüge aus etwa hundert Blättern.

Aufgerufen zu diesem konzertierten Protest hatte der Boston Globe, nachdem Trump inzwischen einen regelrechten Krieg gegen die Presse führt und eine zunehmend gewaltbereite Stimmung in seiner Anhängerschaft anstachelt. „Unsere Worte mögen unterschiedlich sein. Aber wir sind uns einig, dass diese Attacken alarmierend sind“, hieß es im Aufruf des Globe. Mit der New York Times, dem Philadelphia Inquirer und dem Miami Herald folgten einige der Branchengroßen. Doch überwiegend schlossen sich Lokalzeitungen an – und zwar weit mehr, als ursprünglich erwartet. Das Wall Street Journal, die Washington Post und die Los Angeles Times beteiligten sich hingegen nicht.

Trump bezeichnet Presse als Feind des Volkes

Tatsächlich haben Trumps Angriffe auf die Medien ein in demokratischen Ländern beispielloses Maß angenommen. Schon bei seiner Antrittsrede hatte er die Presse im Stalin-Stil als „Feind des Volkes“ verunglimpft, was er in jüngster Zeit regelmäßig wiederholt. Kritische Sender und Publikationen – allen voran den Nachrichtenkanal CNN – beschimpft er als „Fake News“ (Lügenpresse). „Haltet Euch an uns! Glaubt nicht den Mist von diesen Leuten, der Lügenpresse“, rief Trump kürzlich seinen Anhängern in Kansas zu: „Denkt immer daran: Was Ihr seht und was Ihr lest, ist nicht das, was wirklich passiert.“ George Orwell hätte es nicht besser sagen können. Doch die gezielte Diskreditierung unabhängig recherchierter Nachrichten ist nur der offensichtlichste Teil der Strategie eines Präsidenten, der selbst laut Washington Post bislang mehr als 4200 Falschaussagen und Lügen verbreitet hat.

Zunehmend bedroht Trump die freie Presse auch direkt – sei es durch die Einschränkung des Zugangs zu Informationen oder durch Einschüchterung und Bedrohung. Mit Twitter hat sich der Präsident seit seinem Amtsantritt ein eigenes Medium zur Nachrichtenverbreitung aufgebaut, dem inzwischen mehr als 53 Millionen folgen. Anders als seine Vorgänger, gibt er in Washington keine ausführlichen Pressekonferenzen. Allenfalls nach Staatsbesuchen oder auf dem Weg zum Flugzeug gibt es die Chance, ihm zwei oder drei Fragen zuzurufen. Wenn er sich doch einmal länger im Fernsehen verbreiten will, dann ruft er den Vertrauten Sean Hannity bei seinem Lieblingssender Fox an, der gleichermaßen als Stichwortgeber wie als Lautsprecher des autokratischen Narzissten dient. Kritischen Fragen stellt sich Trump nicht. „Darf ich Sie etwas fragen?“, rief CNN-Reporter Jim Acosta dem Präsidenten während einer Pressekonferenz bei seinem Europa-Besuch im englischen Buckinghamshire zu. „Nein“, antwortete Trump barsch: „CNN ist Fake News. Ich beantworte keine Fragen von CNN.“

Trump schließt unliebsame Journalisten aus

Russlands Präsident Wladimir Putin, der kritische Journalisten bedrohen und verfolgen lässt, dürfte es mit Vergnügen gesehen haben. Es bleibt nicht bei solchen verbalen Ausfällen. Wenige Tage später verweigerte Trumps Sprecherin Sarah Huckabee Sanders der CNN-Korrespondentin Kaitlan Collins den Zugang zu einem Pressetermin, weil sie zuvor bei einem Bildtermin des Präsidenten eine „unangemessene Frage“ gestellt habe. Mehrfach hat der Präsident angedroht, kritischen Korrespondenten die Akkreditierung im Weißen Haus komplett zu entziehen. Der gesamte Berufsstand sei „unehrenhaft“, beschwerte er sich kürzlich bei einer internen Besprechung im Weißen Haus: „Warum haben wir die hier drinnen?“

Bei Kundgebungen, mit denen Trump sich und seine Basis bei Laune hält, kann Medienvertretern ein kalter Schauer den Rücken herunterlaufen. Regelmäßig wettert der Präsident gegen die „Volksfeinde“ und zeigt dann auf das Häuflein der Berichterstatter, das mitten in einer riesigen Halle oder einem Stadion hinter einem hüfthohen Gitter zusammengepfercht ist: „Die berichten das nicht. Die erfinden ihre Geschichten“, schießt er seine verbalen Kugeln ab. Die Menge grölt, streckt den Reportern den Mittelfinger entgegen und stört mit ohrenbetäubenden Sprechchören die Fernsehübertragung. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis es zu physischen Übergriffen kommt.

Personenschutz für Medienvertreter

Mehrere Fernsehsender haben ihren Teams inzwischen Personenschutz zur Seite gestellt. „Wir brauchen Bodyguards, um über Veranstaltungen des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika zu berichten“, sagt NBC-Korrespondent Geoff Bennett: „Das muss man erst einmal sacken lassen.“ Drohungen gegen Journalisten sind inzwischen an der Tagesordnung. „Ich hoffe, Du wirst vergewaltigt und ermordet“, wünschte kürzlich ein Zuschauer der MSNBC-Moderatorin Katy Tur per Mail. Bei Bret Stephens, einem Kolumnisten der New York Times, meldete sich ein Anrufer. „Wenn wir zu schießen anfangen, dann werdet ihr Arschlöcher nicht mehr aufstehen. Ihr seid wertlos, die Presse ist der Feind des Volkes“, pöbelte der Mann. Er hoffe nur, dass nicht er selber zur Waffe greifen müsse, sondern „ein Mexikaner oder besser ein Nigger Dir in den Kopf schießt“.

In dieser vergifteten Atmosphäre machen die Medien einen sehr guten Job. Täglich veröffentlichen New York Times oder Washington Post neue vertrauliche Informationen aus dem Weißen Haus. Keine Mauschelei, kein Zwist und kein krummes Geschäft der Regierung scheint unentdeckt zu bleiben. Akribisch werden alle Äußerungen von Trump auf ihren Wahrheitsgehalt abgeklopft und mit den Fakten kontrastiert. Und statt der bei Berliner Hauptstadtkorrespondenten beliebten Ko-Referate zum Nachweis der eigenen Wichtigkeit beherrschen die US-Kollegen die Technik, den Präsidenten mit knappen und präzisen Fragen zu stellen. Trump hatte beim Gipfel in Helsinki länger über Putin, die amerikanischen Geheimdienste und die angebliche russische Einmischung in die US-Wahl fabuliert, als sich AP-Korrespondent Jonathan Lemire meldete: „Wem glauben Sie?“, fragte er schlicht. Das brachte Trump völlig aus der Spur. Trotzdem zeigt Trumps Anti-Presse-Hetze erschreckende Erfolge.

Viele Medien sind sich uneins über die richtige Reaktion auf Trump

Fast die Hälfte der republikanischen Wähler stimmen nach einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Ipsos der Diffamierung der Medien als „Feinde des Volkes“ inzwischen zu. Und ein Viertel findet, der Präsident solle die Macht haben, bestimmte Publikationen ganz zu verbieten. Das stößt bei allen Medienvertretern auf Ablehnung und Entsetzen. Doch über die richtige Reaktion sind sich die Journalisten nicht immer einig. So warnen kritische Stimmen vor der Gefahr, dass sich die Zeitungen unter den massiven Angriffen selbst in eine Kombattanten-Rolle begeben und damit ihre Glaubwürdigkeit verspielen könnten. Deshalb beteiligten sich am Donnerstag auch mehrere namhafte Blätter nicht an der Leitartikel-Aktion nicht. Es bestehe kein Zweifel daran, dass die Ausfälle des Präsidenten die Demokratie gefährdeten, schrieb etwa die Baltimore Sun. Eine koordinierte Aktion nähre aber „den Narrativ, dass wir uns irgendwie gegen diesen republikanischen Präsidenten verbündet haben“. Genau so kam es. „Ich wünsche mir nichts mehr als echte Pressefreiheit“, verkündete Trump am Donnerstagmorgen auf seinen Hauskanal Twitter: „Aber viel von dem was sie schreiben, ist Fake News und soll eine Agenda vorantreiben oder Leute schlichtweg verletzen.“