Alle Argumente gut abgewogen? Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann will’s noch mal wissen. Foto: dpa

Winfried Kretschmanns Bewerbung um eine dritte Amtszeit als Ministerpräsident ist eine logische Entscheidung. Die Grünen freuen sich. Für Kretschmann selbst sei der Entschluss aber auch riskant, meint unser landespolitischer Autor Nils Mayer.

Stuttgart - Jetzt sind die Würfel gefallen: Ministerpräsident Winfried Kretschmann tritt bei der nächsten Landtagswahl 2021 noch einmal als Spitzenkandidat der Grünen an. Überraschend kommt das nicht. Vielmehr haben ihm die Umstände kaum eine andere Wahl gelassen. Er ist der unumstrittene Star der Grünen im Südwesten. Die Partei hat versäumt, eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger aufzubauen. Spätestens als Cem Özdemir – der noch aussichtsreichste Kandidat – am vergangenen Wochenende seine Kandidatur für den Fraktionsvorsitz der Grünen im Bundestag ankündigte und damit unterstrich, in naher Zukunft in Berlin bleiben zu wollen, verdichteten sich die Anzeichen, dass Kretschmann weitermacht.

Für die baden-württembergischen Grünen ist das ein Glücksfall. Kretschmann ist ein politisches Schwergewicht. Laut Umfragen ist er bundesweit der beliebteste Ministerpräsident. Er steht für bürgerliche Werte und ökologische Ideen. Mit diesem Mix und seiner charismatischen, konservativen und bisweilen sympathisch-schrulligen Art gelingt es ihm, bis in Milieus vorzudringen, die früher CDU gewählt haben. Indem er es beherrscht, Dinge philosophisch zu erklären, und in vielen Fragen pragmatische Lösungen anstrebt, schafft er es auch, radikale Meinungen und ideologische Träumereien einiger seiner Parteikollegen zu überdecken.

2021 wird Kretschmann 73 Jahre alt

Durch den Kretschmann-Effekt, meinen Demoskopen und viele Akteure in der landespolitischen Szene, holen die Grünen zehn bis zwölf Prozentpunkte mehr. So manche in der Ökopartei tun deshalb so, als sei mit der erneuten Bewerbung Kretschmanns die nächste Landtagswahl bereits gewonnen. Das ist voreilig. Der Kretschmann-Effekt ist kein Naturgesetz.

Kurz nach der Landtagswahl, im Mai 2021, wird Kretschmann 73 Jahre alt. Nun ist Alter keine Schande. Aber das Amt des MP ist intensiv und stressig, es zehrt an den Kräften. Die voranschreitende Digitalisierung und der technologische Wandel in der Automobilbranche würden ihn noch mehr fordern als bislang. Kretschmann ist sich dessen bewusst. Er fühle sich dem Amt körperlich und geistig gewachsen und strebe fünf weitere Jahre an, sagte er am Donnerstag. Im Interview unserer Zeitung allerdings hatte sich das vor Kurzem noch anders angehört: „Ich bin zwar öfter mal müde, aber nicht amtsmüde.“ Klingt ein wenig widersprüchlich.

Letztlich geht es ihm auch um Macht

Schon zuletzt erweckte der Regierungschef ab und zu den Eindruck, als verwalte er lieber gemütlich und solide, statt kraftvoll zu gestalten. Etliche Themen wie das Schulleiter-Konzept oder die nächste Novellierung des Polizeigesetzes, bei denen sich die Koalitionspartner verhakt haben, warten auf eine Klärung. Den meisten Menschen im Südwesten geht es gut, da fällt dies nicht so auf. Nach Jahren neuer Steuereinnahmenrekorde drohen die Zeiten aber härter zu werden. Kretschmann ist das nicht gewöhnt, die Finanzkrise 2008 war vor seiner Zeit als MP. Kann er auch Krisen managen?

Hätte er jetzt seinen Rückzug für 2021 angekündigt, wäre er als anerkannter und enorm beliebter erster grüner Landesvater auf dem Gipfel seines Ansehens in die Geschichte des Landes eingegangen. Hinzu kommt, dass die Grünen derzeit ausweislich der Kommunalwahlergebnisse und aller Umfragen Rückenwind haben. Bessere Voraussetzungen, um einen Wechsel einzuleiten, gibt es eigentlich nicht. Trotzdem tritt Kretschmann gegen die anpackende und dynamisch wirkende CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann an. Er begründet dies damit, dass es Stabilität im Wandel brauche. Doch es geht ihm auch um Machterhalt. Letztlich riskiert er so, dass das edle Bild von ihm doch noch Kratzer bekommt.

nils.mayer@stuttgarter-nachrichten.de