Der Verkehr nimmt auch im Kreis Göppingen zu, Staus sind die Folge. Viele Bürger und Kommunalpolitiker hoffen deswegen auf einen Ausbau des ÖPNV mit dem VVS. Foto: Kovalenko/Archiv

Nach einem Jahr voll heftiger Debatten sehen die meisten Kreisräte nun mehr Chancen als Risiken in einer Vollmitgliedschaft im Verkehrsverbund Stuttgart. Der Großteil der Freien Wähler will mittlerweile dafür stimmen. Die CDU bleibt gespalten.

Göppingen - Als sich der Fraktionschef der Freien Wähler (FW) am Dienstagabend im Umwelt- und Verkehrsausschuss zu Wort meldete, hielten Grüne, SPD und Kreisverwaltung den Atem an. Wie würden sich die Freien Wähler, die ähnlich wie die CDU beim Thema Vollintegration in den Verkehrsverbund Stuttgart (VVS) skeptisch reagiert hatten, in der letzten großen Debatte vor der endgültigen Entscheidung positionieren? Das kollektive erleichterte Aufseufzen war fünf Minuten später zwar nicht hörbar, aber doch deutlich zu spüren.

„Wir haben immer gesagt, wir sind nicht gegen den Beitritt, sondern es gilt zwei wesentliche Punkte zu klären“, fasste Werner Stöckle die Sicht der FW-Fraktion zusammen. „Wie ist der Mehrwert für den Kreis und die Bürger? Und ist der Beitritt finanzierbar?“ Inzwischen sei der hohe Mehrwert nachgewiesen, und der Kreiskämmerer habe bestätigt, dass der Beitritt zwar Risiken berge, aber finanzierbar sei. „Wir sind bereit, diese Risiken in Kauf zu nehmen.“

Die Tarifzonenreform des VVS überzeugt auch viele frühere Skeptiker

Der Knackpunkt, so erläuterte Stöckle und sprach damit vielen Kreisräten und der Verwaltung aus der Seele, sei die Tarifzonenreform des VVS. Mit der Reform, die im April in Kraft tritt, werden die Zonen im VVS-Gebiet auf wenige Ringzonen verringert, die sich um die Stadt Stuttgart legen. Im Kreis Göppingen würde der Beitritt dazu führen, dass vom Start der Mitgliedschaft im Januar 2021 an nur noch vier Ringzonen von den derzeit rund hundert Zonen übrig blieben. Der Großteil der Fahrgäste würde dadurch deutlich sparen, nämlich insgesamt rund zwei Millionen Euro pro Jahr. Den Kreis würde dies aber nicht mehr kosten als die bereits vor der Reform kalkulierten drei bis fünf Millionen Euro jährlich. „Diese Einsparungen kann man den Bürgern nicht vorenthalten“, sagte Stöckle, und dieser Meinung sei auch die große Mehrheit seiner Fraktion. Auch Martin Kaess (FDP) kündigte an, dass die vier Mitglieder seiner Fraktion aus diesem Grund bei der Entscheidung am 1. Februar für den Beitritt stimme.

Grüne und SPD weisen schon lange auf Vorteile für Fahrgäste, Umwelt und Unternehmen hin

Die Grünen und die SPD träumen hingegen bereits seit Jahrzehnten von einer Mitgliedschaft in dem Verkehrsverbund und dringen seit einem Jahr auf ein Ja zur Vollintegration. Sie haben stets auf die Vorteile für die Bürger hingewiesen, die künftig mit einer Fahrkarte im ganzen VVS-Gebiet unterwegs sein könnten. Die Stärkung des Nahverkehrs und der damit verbundene Zuwachs an Fahrgästen, den sich die Planer im Landratsamt und beim VVS erhoffen, ist aus ihrer Sicht notwendig, um „einen Verkehrskollaps“ zu verhindern und das Klima zu schützen, wie die Grünen-Chefin Martina Zeller-Mühleis formulierte.

Außerdem sehen beide Fraktionen Vorteile für die Wirtschaft, unter anderem, weil Unternehmen für Fachkräfte aus der Region attraktiver wären, wenn diese komfortabler mit Bus und Bahn erreichbar wären. Die IHK und viele Unternehmen machen sich aus diesem Grund schon lange für den Beitritt stark. Der Kreis und viele Kommunen entlang der Filstalachse hoffen zudem, dass eine Mitgliedschaft im VVS die Städte und Gemeinden auch als Wohnort für viele Bürger aus der Region attraktiver machen würde. Denn die Erfahrung der Vergangenheit zeigt, dass vor allem Kommunen entlang der VVS-Verkehrsachsen stark gewachsen sind und prosperieren.

Die CDU ist wegen der Kosten weiterhin gespalten

Die CDU blieb bei der Debatte als einzige Fraktion deutlich gespalten. Während Erich Hieber und Rainer Staib sich für den Beitritt aussprachen, wiesen der Fraktionschef Wolfgang Rapp und Gerd Ueding auf zahlreiche Risiken hin, die mit dem Beitritt verbunden seien. Rapp kündigte an, er könne erst eine Entscheidung fällen, wenn geklärt sei, wie sich die zusätzlichen Kosten, die der im VVS geplante Ausbau der S-Bahn-Flotte und die Einführung der neuen Signaltechnik ETCS verursachen, auf den Kreis Göppingen auswirkten. Der Landrat Edgar Wolff erwiderte, derzeit sei die Rede von Kosten zwischen einer halben Millionen und 1,4 Millionen Euro für den Kreis – dies wäre durch die eingeplanten bis zu fünf Millionen Euro gedeckt. Mehr Informationen gebe es zwei Tage vor der Abstimmung im Kreisrat, wenn der Regionalrat über das Thema beraten habe.

Ueding blieb als Vertreter des Oberen Filstals bei seinem Nein. Zwar könnten auch die dortigen Bürger durch den VVS günstiger Bus und Zug fahren, doch die Kommunen könnten die Abgabenlast, die durch den Beitritt entstünden, nicht schultern. Ueding befürchtet, dass die Kreisumlage, die den Prognosen des Kreiskämmerers Martin Stolz zufolge in den kommenden Jahren auf bis zu 38 Prozent steigen könnte, im Oberen Filstal zu höheren Steuern führen würde. Wolff hielt dem entgegen, dass der Anteil des VVS-Beitrags an der Kreisumlage nur etwa 0,6 Prozentpunkte betragen würde.