Die Baunternehmer plagt ein Problem: Wohin mit dem Erdaushub und dem Bauschutt? Auf den Deponien im Landkreis gibt es Engpässe. Foto: Mierendorf

Der Rathauschef Bernd Vöhringer will verhindern, dass der Sindelfinger Stadtwald für eine Halde abgeholzt wird. Er wirft dem Landrat Roland Bernhard vor, bei der Standortsuche zu sehr Druck zu machen. Die Kriterien sollen wieder auf den Prüfstand.

Böblingen - Der Streit zwischen dem Sindelfinger Oberbürgermeister Bernd Vöhringer und dem Böblinger Landrat Roland Bernhard geht in die nächste Runde. Der Stein des Anstoßes sind die möglichen Standorte für Erddeponien. Vöhringer wehrt sich nach wie vor dagegen, dass der Sindelfinger Stadtwald für eine Deponie abgeholzt wird. Das Gelände war von der Kreisverwaltung in die engere Auswahl genommen worden – zusammen mit vier weiteren Standorten. Die Kriterien für die Entscheidungsfindung wollte der Landrat nun am Montag im Ausschuss des Kreistags noch einmal vorstellen und erörtern. Doch dazu kam es nicht. Der Punkt wurde vertagt. Die Standortsuche geht also weiter.

Landrat: Bauindustrie benötigt eine Lösung

„Ich bin jedoch davon ausgegangen, dass das Thema erst noch in den Fraktionen und in unserer Arbeitsgruppe weiter besprochen wird“, sagt Vöhringer. Der Sindelfinger OB erhebt weiterhin schwere Vorwürfe gegen den Landrat: „Das ist mal wieder ein typisches Hoppla-Hopp-Verfahren von ihm.“ Der Vize-Landrat Martin Wuttke habe als Vorsitzender der Arbeitgruppe doch erklärt, dass man im engeren Kreis weiter beraten werde. „Wir sind alle sehr überrascht“, erklärt der Sindelfinger Rathauschef. „Ich habe das Gefühl, dass der Landrat die Nerven verliert.“ Bernhard habe sich wohl schnellere Beschlüsse bei der Standortsuche erhofft.

Der Landrat Bernhard wiederum verwies darauf, dass die Arbeitsgruppe bereits sechs Mal getagt habe. Er wolle nun den Ausschuss über das bisherige Verfahren informieren. An die Kreistagsmitglieder richtete er den Appell, mit der Entscheidungsfindung „nicht zu lange zu brauchen“. Man solle zum Ende kommen. Die Bauindustrie benötige eine Lösung, der Kreis in absehbarer Zeit eine neue Erddeponie.

Schutt und Erde landen auf Deponien außerhalb des Kreises

Bernhard erklärte zudem, dass er Signale von den Fraktionen erhalten habe, die einen weiteren Beratungsbedarf sehen. Genau darauf zielte der Antrag von Claus Unger (CDU) ab, das Thema zunächst wieder der Arbeitsgruppe zu überlassen. Zwölf der Ratsmitglieder votierten dafür, sechs enthielten sich der Stimme.

Die vom Gutachterbüro vorgelegte Expertise zeigt den dringenden Bedarf. Bemerkenswert ist allerdings ein deutlicher Rückgang des abgelieferten Materials, das im Kreis Böblingen entsorgt wird. Die Menge sank zuletzt um 17 Prozent. Weil dem Minus kein Rückgang der Bautätigkeit gegenübersteht, gehen die Gutachter davon aus, dass die Baufirmen einen erheblichen Teil des Schutts auf andere Deponien außerhalb des Landkreises transportieren. Angesichts der guten Konjunktur geht die Kreisverwaltung jedoch davon aus, dass künftig eher mehr als weniger entsorgt werden muss.

Im stillen Kämmerlein

Wenn es nach dem Landrat geht, soll das Problem so rasch wie möglich gelöst werden. Sein heftiger Widersacher ist und bleibt Vöhringer. Der OB kritisiert: Die zuletzt vorgenommne Auswahl mit fünf Standorten sei nach „Gutsherrenart“ erfolgt. Tatsächlich hatte die Kreisverwaltung „im stillen Kämmerlein“, so Vöhringer, auch den Sindelfinger Wald als Deponiestandort vorgeschlagen: im Bereich der sogenannten Dachsklinge unweit der Autobahnraststätte Sindelfinger Wald sowie im Sindelfinger Stadtwald. Einen Doppelstandort könnte es dort geben, wähnten die Vertreter des Landratsamts. Weitere Flächen kamen für sie nördlich von Rutesheim auf der Gemarkung Leonberg-Gebersheim in Frage sowie nordwestlich von Weissach an der Kreisgrenze zu Mönsheim (Enzkreis). Als fünfter Standort galt Ehningen. „Nun wollen wir aber einen neuen Suchlauf starten“, erklärt Wolfgang Bagin, der Leiter des kreiseigenen Abfallwirtschaftsbetriebs (AWB). Der Vize-Landrat aber macht daraus keinen Hehl: „Die ermittelten Standorte gelten weiterhin als potenzielle Lösungen.“ Freilich kämen die Auswahlkriterien auf den Prüfstand: „Uns kommt es auf Transparenz an.“

Wuttke geht damit auf den Protest Vöhringers ein, der dem Landratsamt ein unsauberes und undurchsichtiges Verfahren vorgeworfen hatte. Der Landrat selbst hatte dies bereits zurückgewiesen. Es gebe keine Vorfestlegungen über Deponieflächen. Alle möglichen Standorte seien unter denselben fachlichen Voraussetzungen geprüft worden. Das Verfahren sei von Anfang an mit den Kreisgremien abgestimmt gewesen. Die betroffenen Kommunen seien überdies im Vorfeld informiert worden. Außerdem seien die Naturschutzverbände gehört worden. Sie seien mit den Auswahlkriterien sie einverstanden gewesen. Die Zeitschiene, die sich die Verwaltung genommen hatte, sah zuletzt so aus: Im Jahr 2025 sollte die neue Deponie ihren Betrieb aufnehmen, die nötige Fläche wollte der AWB im Jahr 2021 erworben haben.

Für Vöhringer geht der Kampf weiter

Auch für Bernd Vöhringer ist längst nicht aller Tage Abend. Er will auf jeden Fall weiter dafür weiter kämpfen, dass der Sindelfinger Forst unangetastet bleibt. „Es kann doch nicht sein, dass man bei den sich bietenden Alternativen dort eine Deponie ins Auge fasst.“

Deponie soll 200 000 bis 250 000 Tonnen aufnehmen

Vorgeschichte:
Ein Ingenieurbüro ermittelte 78 mögliche Standorte für eine Erddeponie im Kreis Böblingen. Als Kriterien gelten 300 Meter Abstand zu Wohngebieten, eine gute Verkehrsanbindung und eine freie Fläche von 30 Hektar. Nicht in Frage kommen Naturschutzgebiete sowie Trinkwasser- oder Heilquellenschutzgebiete und Flächen, die überschwemmt werden können. Die Kreisverwaltung hat dann die Standortliste auf fünf mögliche Standort konzentriert. Beteiligt an der Voruntersuchung waren die Kreisämter Wasserwirtschaft, Naturschutz, Forst und Landwirtschaft.

Bedarf
: Laut den Gutachtern der Firma Prognos fällt künftig eine Menge von rund 200 000 Tonnen jährlich an. Um eine Deponie wirtschaftlich betreiben zu können, geht die Verwaltung für das Jahr 2030 von 200 000 bis 250 000 Tonnen aus, die jährlich zu bewältigen sind. Daher scheide eine Deponiefläche von weniger als 25 Hektar aus. Möglich sei auch, eine Deponie abschnittweise zu entwickeln und erst nach und nach auszubauen, um die Belastung in der betroffenen Kommune zu mindern.

Berechnungsgrundlage
: Weil es über den Kreis Böblingen keine Statistik über Bodenaushub und Bauschutt gibt, haben die Gutachter Deponie- und Steinbruchbetreiber sowie Bau- und Abbruchunternehmen befragt, um aus deren Angaben die künftige Menge herzuleiten