Wer das Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen besucht, kann Ötzi auf Augenhöhe begegnen: Seit 2011 steht dort eine lebensgroße Figur, die Ötzi zu Lebzeiten abbilden soll. Foto: Südtiroler Archäologiemuseum

Ötzi war mit dem Magenkeim Helicobacter pylori infiziert. Das Bakterium kann Geschwüre und Magenkrebs verursachen. Doch wie stand es sonst um die Gesundheit der 5300 Jahre alten Gletschermumie? Experten des Südtiroler Archäologiemuseums in Bozen geben Auskunft.

Todesursache

Noch nicht ganz geklärt ist allerdings, wie es zu dem Bruch und der Schwellung an der Augenhöhle sowie einem Bluterguss am Hinterkopf gekommen ist: „Es kann sein, dass er mit einem Faustschlag an der Schläfe niedergestreckt wurde“, sagt Katharina Hersel. Es wäre aber auch möglich, dass er sich die Verletzungen beim Sturz zuzog, als er aufgrund des Pfeils ins Straucheln geriet. Fest steht allerdings, dass Ötzi wohl schon wenige Stunden zuvor nur knapp dem Tode entkommen ist: An seinem Daumen und dem Zeigefinger der rechten Hand entdeckten die Forscher 2003 eine nicht verheilte Schnittwunde. „Die Wunde geht bis auf den Knochen“, sagt die Museumssprecherin Hersel. Solche Schnittwunden entstehen laut Pathologen typischerweise, wenn man versucht, einen Messerangriff mit der Hand abzuwehren.

Ötzis letzte Mahlzeit

Üppig war die Wegzehrung von Ötzi wenige Stunden vor seinem Tod nicht gerade: Wie Biologen der italienischen Universität Camerino im Jahr 2003 aus seinem Magen-Darm-Inhalt erkennen konnten, gab’s etwas Fleisch vom Steinbock und Rotwild, dazu eine Art Brot oder Brei aus Getreide sowie Pflanzen. Anhand der Pflanzenpollen, die zudem im Magen gefunden worden sind, zeigt sich, dass Ötzi an seinem letzten Tag große Höhenunterschiede zurückgelegt hat: „Es fanden sich beispielsweise Blüten der Hopfenbuche, die hauptsächlich in Tälern zu finden ist“, sagt die Museumssprecherin Hersel. Dann aber auch Pollen von Pflanzen, die in großen Höhen wachsen.

Genetische Verwandte

Im Jahr 2008 machten sich die Wissenschaftler auf die Suche nach den genetischen Verwandten von Ötzi. So wurde erst die mitochondriale DNA – also das Erbgut, das von der Mutter stammt – untersucht. „Schon da wurde klar, dass Ötzi höchstwahrscheinlich keine lebenden Nachfahren hat“, sagt die Museumssprecherin Hersel. Allerdings gibt es Ähnlichkeiten im Erbgut mit dem der noch heute lebenden Bevölkerungsgruppe der Ladiner, weshalb die Forscher daraus schließen, dass sie und die mütterliche Seite von Ötzi die gleichen Vorfahren hatten.

Bei der Analyse des gesamten Genoms haben die Wissenschaftler 2012 versucht, die Verwandtschaftsverhältnisse der väterlichen Linie herauslesen. Es zeigte sich, dass die genetische Linie, der Ötzi angehörte und wissenschaftlich Haplogruppe G2a4 genannt wird, heute in Europa sehr selten ist. Große Übereinstimmungen mit heute lebenden Menschen gibt es nur in lange Zeit isolierten Regionen, wie etwa bei der Bevölkerung der Inseln Sardinien und Korsika, so Hersel. So hatten die väterliche Seite von Ötzi, die Sarden und die Korsen wohl gemeinsame Vorfahren.

Tätowierungen

Chinesische Zeichen oder Madonnengesichter waren als Körperkunst zu Lebzeiten Ötzis zwischen 3350 und 3120 vor Christus noch nicht modern. Tätowierungen hatte der Steinzeitmensch aber schon: Insgesamt fanden die Forscher 61 Hautzeichen, die letzten zwei sogar erst 2015. Die meisten bestehen aus knapp einem bis vier Zentimeter langen, parallelen Linien. Auch zwei tätowierte Kreuze finden sich an Ötzis Körper. „Fast alle Tätowierungen zeigen sich am Rücken sowie an den Beinen, an Knien und Knöchel“, sagt Katharina Hersel. Offensichtlich hatten die Tätowierungen eine therapeutische Funktion, vielleicht handelt es sich hierbei um eine Art Akupunktur, die die Gelenkschmerzen des Steinzeitjägers lindern sollte. Ob einzelne der prähistorischen Tätowierungen auch eine symbolische oder religiöse Bedeutung haben, dafür gibt es keine Anhaltspunkte, so Hersel.

Händler oder Hirte

Wer das Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen besucht, kann Ötzi auf Augenhöhe begegnen: Seit 2011 steht dort eine lebensgroße Figur, die Ötzi zu Lebzeiten abbilden soll. Das Konterfei entstand, nachdem es 2010 gelungen war, das Erbgut des Eismenschen fast vollständig zu entschlüsseln. Mit Hilfe der Röntgen- und computertomografischen Bilder wurde dann eine Ganzkörperdarstellung Ötzis angefertigt: ein Mann mit tief liegenden braunen Augen, etwa 1,60 Meter groß. Das lange grau-braune Haar ist verfilzt, die Nase ein bisschen schief, die Haut vom Wetter gegerbt. Wäre er nicht in Fell und Leder gekleidet, könnte man seinen athletischen Körperbau besser erkennen. „Ötzis Beinmuskulatur ist sehr stark ausgeprägt“, sagt Katharina Hersel. Offensichtlich war er ein geübter Kraxler, vielleicht von Beruf Händler oder Hirte.

Krankenakte

So richtig gesund war Ötzi trotz seines sportlichen Lebensstils nicht gerade: In einer aktuellen Veröffentlichung im Fachmagazin „Science“ zeigt sich, dass Ötzi mit dem Magenkeim Helicobacter pylori infiziert war. Es sei sogar eine aggressive Variante des Bakteriums gewesen, das Magengeschwüre und Magenkrebs verursachen kann, berichtet ein Forscherteam mit Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte. Heutzutage ist etwa die Hälfte aller Menschen mit Helicobacter pylori infiziert. Das Bakterium lebt in der Magenschleimhaut und begleitet den Menschen vermutlich schon seit mindestens 100 000 Jahren. Zehn Prozent der Infizierten entwickeln Probleme wie Magengeschwüre, -entzündungen oder -krebs. Ob der Erreger auch bei Ötzi Magenbeschwerden verursachte, konnten die Forscher nicht ermitteln. Dass er welche hatte, scheint aber aus anderen Gründen fast sicher: Hatte man doch schon in seinem Magen-Darm-Trakt Peitschenwürmer entdeckt, die ihn mit Bauchschmerzen und Durchfall quälten.

Zudem litt Ötzi unter Fußpilz und hatte schlechte Zähne. Befunde aus 2011 zeigten, dass er Karies und Parodontose hatte. Drei Jahre später wurde die Krankenakte länger: Aufgrund eines Zeckenstichs hatte Ötzi sich den Borreliose-Erreger eingefangen. Oft beginnt die Krankheit mit grippeähnlichen Symptomen. Auch Jahre danach können die Borrelien schwere Entzündungen mit Gelenkschmerzen auslösen, die chronisch werden können.

Überraschend war für die Forscher allerdings ein Befund aus 2012: Demnach waren Ötzis Arterien schon recht verkalkt. Diese Herz-Kreislauf-Erkrankung wird heute vor allem auf fetthaltiges Essen, Rauchen und Bewegungsmangel zurückgeführt. „Im Fall von Ötzi waren genetische Ursachen der Auslöser“, sagt Katharina Hersel. Auch ein anderes, oft als moderne Zivilisationskrankheit deklariertes Leiden war schon beim Steinzeitmenschen aktuell: Aufgrund einer Laktose-Intoleranz vertrug Ötzi keine Milch.