Die Nerven: Max Rieger, Kevin Kuhn und Julian Knoth (von links) beim Auftritt am 16. Dezember in Universum in Stuttgart Foto: Steffen Schmid

Heimspiel der Noise-Rock-Band Die Nerven. Beim Konzert am Mittwoch im Stuttgarter Club Universum haben sie die Herzen des Publikums mit ihre nradikal verdichteten Songdramen in Aufruhr versetzt.

Stuttgart - So muss sich das angefühlt haben als die Talking Heads 1975 im CBGB’s „Psycho Killer“, als die Fehlfarben 1980 im Ratinger Hof „Gottseidank nicht in England“, als Sonic Youth 1988 in der Knitting Factory „Teen Age Riot“ oder Nirvana 1990 in der Ringall Hall „Polly“ spielten. Ort der Handlung ist diesmal nicht New York, Düsseldorf oder Olympia , Washington, sondern Stuttgart Mitte. Gerade zuckt die Nummer „Barfuß durch die Scherben“ durch den Musikclub Universum. Max Rieger singt von der Leere hinter den Raststätten, von Orten, die nicht existieren, von Stimmen, die die Straße wie Teer bedecken. Und die Menschen vor der Bühne tanzen wankend zum störrischen Zickzackbeat, den Die Nerven ihnen dazu vorsetzen, lassen sich vom nervösen Herzschlag dieses unerhört dringlichen Songdramas in Aufruhr versetzen.

Solche Konzertmomente bleiben. Sie überdauern das Pfeifen, das man Mittwochnacht auf dem Nachhauseweg noch in den Ohren hat, das aber am nächsten Morgen der Erkenntnis Platz macht, dass sich die Stuttgarter Band Nerven, den Hype, den die internationale Musikpresse um sie macht, in jeder Sekunde hart erarbeitet und verdient. Was Max Rieger (Gesang und Gitarre), Julian Knoth (Gesang und Bass) und Kevin Kuhn (Schlagzeug) da bei ihrer gut einstündigen Heimspielshow abliefern, ist sensationell.

Das Konzert der Nerven als Kraftakt der Verdichtung

Es ist das 27. Konzert, das Die Nerven auf ihre aktuellen Tour spielen. Die Konsequenz daraus ist aber nicht, dass sich eine lässige Routine eingestellt hat. Stattdessen inszenieren sie ihr Noise-Rock-Post-Punk-Gemisch, mit dem sie auf ihren Platten Ichrkisen, Zorn, und Frust, Verzweiflung und Verbitterung vertonen, auf der Bühne jetzt noch konzentrierter, dramatischer, präziser. Rigoros, radikal und rücksichtlos wie nie zuvor klingen die Versionen von Songs wie „Angst“ oder „Der letzte Tanzende“. Das Konzert ist ein Kraftakt der Verdichtung, der alle Energie verbraucht und in völliger Erschöpfung endet. Hinterher liegen sich die drei in den Armen, und Kuhn sagt: „Ich habe mir eigentlich vorgenommen nicht zu weinen.“

Dass Die Nerven derzeit die beste Band Stuttgarts sind, setzen wir als gegeben und selbstverständlich voraus. Wahrscheinlich sind sie aber viel mehr als das. Und in ein paar Jahren erzählen dann all jene, die dabei gewesen sind, stolz davon, wie es sich angefühlt hat, als Die Nerven im Dezember 2015 im Universum „Barfuß durch die Scherben“ gespielt haben.