Imposante Fackeldemo auf dem Schmidener Feld gegen den Nord-Ost-Ring – hier eine Aufnahme vom Dezember 2018 Foto: Peter D. Hartung

Lokalpolitiker ebenso wie die Fellbacher Oberbürgermeisterin Gabriele Zull wettern gegen die „völlig überdimensionierte Ersatzautobahn“. Aktueller Wahlkampfaufreger ist die Forderung nach kostenloser Kinderbetreuung.

Kommunalwahl - Der scheidende CDU-Stadtrat Herbert Aldinger hat kürzlich ein bekanntes Phänomen auf den originellen Punkt gebracht: Die Fellbacher steigen gerne auf die Ebene des Kappelbergs und blicken hinab ins Neckartal, zum Daimler oder in die Fußball-Arena. Umso sinnvoller sei es, dass mit der neuen Weißen Station der Remstal-Gartenschau nun auch ein Aussichtspunkt errichtet wurde, bei dem unter diesem Belvedere der Blick künftig eher nach Osten, eben ins wunderbare Remstal, ermöglicht wird.

Stuttgart oder Remstal?

Es ist eine durchaus komplexe Beziehung zwischen der zweitgrößten, westlichsten Stadt des Landkreises und der Region „dahinter“ im mittleren Remstal. Viele Beobachter glauben, die Fellbacher fühlten sich nicht so recht zugehörig zum Remstal – was auch kein Wunder wäre, da nicht der kleinste Markungszipfel an den Fluss grenzt, während man im Norden des Stadtteils Oeffingen auf der dortigen Landungsbrücke immerhin den Neckar unter sich vorbeiziehen sehen kann.

Andererseits ist es Fellbacher Politikern diverser Couleur immer wieder gelungen, sich wichtige Partei- und Abgeordnetenämter unter den Nagel zu reißen – sei’s bei der FDP der damalige OB Friedrich-Wilhelm Kiel oder bei der CDU der Logistik-Unternehmer Rolf Kurz (zugleich CDU-Kreischef) oder Kiels OB-Nachfolger Christoph Palm, der wiederum Kurz fünf Jahre als Abgeordneter des Wahlkreises Waiblingen im Landtag folgte. Es ist also ein durchaus ambivalentes Verhältnis zwischen den Entscheidungsträgern und Bewohnern des mittleren Remstals und den gerne Großen, Ehrgeizigen und Erfolgreichen direkt vor den Toren der Landeshauptstadt.

Kein Nord-Ost-Ring übers Schmidener Feld

Andererseits sind die Fellbacher, bei aller Orientierung gen Stuttgart, stets um ihre Unabhängigkeit bemüht – in einer Stadt, deren Sportvereine zu den größten im Land zählen. Und schon gar nicht will man sich von Stuttgart oder gar Berlin eine Asphaltpiste übers Schmidener Feld reindrücken lassen. Dabei gibt es wiederum im hinteren Remstal nicht wenige, die sich angesichts des erzwungenen Zuckeltempos in Hegnach eine neue Schnellverbindung gen Ludwigsburg und zur A 81 erhoffen – wie Schorndorfs OB Matthias Klopfer (SPD) schon mal hat durchblicken lassen.

Seine Fellbacher Amtskollegin Gabriele Zull (parteilos) allerdings bleibt unerschütterlich und wettert gegen die „völlig überdimensionierte Ersatzautobahn, die unseren kostbaren Landschaftsraum durchschneiden würde“. Ihr Appell: „Wehret den klammheimlichen Neuanfängen für einen Nord-Ost-Ring, der nur Probleme schafft.“ In ihrer Aufforderung, sich „mit aller Kraft dagegenzustemmen“, weiß die Rathauschefin alle Gemeinderatsfraktionen hinter sich – wobei CDU und Freie Wähler/Freie Demokraten (FW/FD) jedoch das Problem haben, dass ihre Partei- und Listenfreunde aus den Nachbarkommunen ganz anders darüber denken, was manchen Regionalrat schon mal in argumentative Nöte bringt.

Die Pleite um den Gewa-Tower

Zweites Thema, das Fellbach zuletzt landes- bis bundesweite Schlagzeilen bescherte, ist der 107 Meter hohe Wolkenkratzer im Osten der Stadt. Immerhin ist die Pleite des anfangs als Gewa-Tower und mittlerweile zum Schwabenlandtower 107 umgetauften Wohnturms abgewendet, Ende 2020 sollen die Bewohner tatsächlich einziehen können.

Ansonsten bestimmen auch in Fellbach die derzeit virulenten Themen die Stadtpolitik. Etwa die Wohnungsnot – weshalb die OB mit ihrem Amtsantritt vor zweieinhalb Jahren die „Wohnbauoffensive 2020“ verkündet hat, die von allen Parteien und Fraktionen unterstützt wird.

Kurz vor dem Urnengang allerdings ist das gelegentlich kritisierte „Konsensgesäusel“ im Gemeinderat nun doch in einen veritablen Wahlkampf gemündet. Allerdings durch ein eher von außen hereingetragenes Thema, indem die Sozialdemokraten ihre landesweite Kampagne für eine kostenlose Kinderbetreuung nun in die Fellbacher Lokalpolitik eingespeist haben. Die Reaktionen waren erwartbar: „Wer soll das bezahlen?“, lästerte die CDU, FW/FD-Chef Ulrich Lenk wettert über diesen „zutiefst unseriösen und populistischen Wahlkampfschlager“.

Zufriedenheit mit der Rathauschefin

Ansonsten halten sich die wechselseitigen Abqualifizierungen, anders als in so manch anderer Kommune ähnlicher Größenordnung, in Fellbach in Grenzen – kein Wunder in einer Stadt, die in Sachen Infrastruktur kaum Wünsche offenlässt. Dennoch muss die OB auch manchen Gegenwind wie beim Haushalt aushalten und manche Abstimmungsniederlage gegen die bürgerliche Mehrheit wegstecken. Zull hat sich eben als nicht ganz so leicht formbar erwiesen, wie vielleicht manche aus dem Kreise von CDU und FW/FD dachten, die sie einst aus Göppingen losgeeist und nach Fellbach gelotst hatten. Kürzlich offenbarte die SPD-Fraktionsspitze gar, man sei derzeit so zufrieden mit ihr, dass man für eine OB-Wahl auf einen Gegenkandidaten verzichte.

Große Veränderungen in der Zusammensetzung des Gemeinderats sind ansonsten eher nicht zu erwarten. SPD-Strippenzieher Harald Raß hat seinen Platz schon vor gut einem halben Jahr geräumt. Alle Fraktionsvorsitzenden gehen als Platzhirsche auf Stimmenfang. Allenthalben zufrieden reagierten die Parteien auch darauf, dass die AfD für Fellbach keine Liste zusammenbrachte – und somit auch keine Stimmen wegnehmen kann.

Keine Liste der AfD

Einer, der vor fünf Jahren für die AfD antrat, ehe er später der Partei den Rücken kehrte, ist Andreas Zimmer. Der piesackte mit seinen ständigen Mahnungen, die Stadt lebe finanziell weit über ihren Verhältnissen, immer wieder die Verwaltung. Für eine Fortsetzung seiner Liste Unabhängige Fellbacher reichte es allerdings nicht, so dass Zimmer seinen Rückzug aus der Lokalpolitik verkündete. Ebenso stolz wie frohgemut setzt man bei der SPD darauf, demnächst gleich zwei Stadträte mit deutschlandweitem Renommee vorweisen zu können. Zum einen tritt Gökay Sofuoglu erneut an – er ist Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Ebenfalls für die SPD ins Rennen geht Stefan Heimlich – der Geschäftsführer ist Vorsitzender des ACE, des Automobil Clubs Europa.

Reichlich Reibereien gab es zuletzt bei der Linken. Ihr bisheriger Vorzeigemann Christian Hinrichsen lag im Dauerclinch mit dem Kreisverband, der ihm einen allzu weichgespülten Kurs gegenüber der Stadt vorhielt. Hinrichsen beklagte öffentlich im Gemeinderat eine „totalitäre Behandlung“, trat entnervt aus der Partei aus – und formierte mit gleichgesinnten Frauen eine vierköpfige Liste mit dem Namen F2, was ans Fellbacher Kombibad F3 erinnert und so etwas wie „frisch facettenreich“ bedeuten soll. Seine früheren Genossen treten mit einem Trio an. Dass sie der bürgerlichen Mehrheit den Vorrang streitig machen könnten, glaubt aber kaum einer in Fellbach, der, so der Slogan, „Stadt der Weine und Kongresse“.