Polizisten der Stuttgarter Reiterstaffel patrouillieren nach den Ausschreitung im Juni auf dem Stuttgarter Schloßplatz. Foto: 7aktuell.de/Nils Reeh/7aktuell.de | Nils Reeh

Bis zur politischen Reife können die Nachwuchspolitiker der Grünen noch vieles von ihrem Urgestein Winfried Kretschmann lernen.

Stuttgart - Nein, das wäre zu einfach. Den Nachwuchs der Grünen wegen ihres Positionspapiers „Polizei neu aufstellen“ schnell abzuwatschen. Ihnen Sympathie, gar Nähe zur linksextremistischen Antifa zu unterstellen, das Papier zu zerreißen und den Mantel des Schweigens über den Vorfall zu legen. Auch deshalb nicht, weil die Grüne Jugend in ihrem Papier ein Reihe interessanter Ansätze bietet: Wenn sie „multiprofessionelle Teams mit externen Expert*innen“ in der Polizeiarbeit fordert. Oder neutrale Ermittlungsstellen, an die sich Menschen richten können, die glauben, sie seien Opfer willkürlichen Polizeihandelns. Und auch eine Treuhandstelle, bei der Einsatzprotokolle und -videos von Polizeieinsätzen archiviert sind, ist ein reizvoller Gedanke.

Nur: Vieles von dem ist zumindest in Baden-Württemberg seit Jahren Realität. Kaum eine Ermittlung, in der nicht das Fachwissen von Wissenschaftlern und Computerexperten einfließt. Wer die kriminaltechnische Abteilung des Landeskriminalamtes besucht, findet dort Wissenschaftler und Labore, nach denen sich manche Universität die Finger schleckt. Neutrale Ermittlungsstellen: Im Land arbeitet bereits eine Bürgerbeauftragte, es gibt den Petitionsausschuss des Landtages, ein anonymes Hinweisportal beim LKA. Wenn Quantität möglichen Polizeiübergriffen vorbeugen soll, dann bitte. Auch dafür werden sich im Landeshaushalt noch ein paar Hunderttausend Euro finden lassen. Eine Treuhandstelle, in der Einsatzprotokolle und -videos der Polizei gelagert werden: Das erleichtert auch Staatsanwälten und Ermittlern nach Demonstrationen, mögliche Gewalttäter zu identifizieren und zu verfolgen.

Bis hierher: an den Tisch mit den jungen Leuten. Diskutieren und umsetzen, wo das noch nicht geschehen ist.

Dann aber kommt es zu Fake-News und Manipulation im Papier der Grünen Jugend: Das reicht vom Bild sich an Gewaltexzessen berauschenden Polizisten bis zur Behauptung, es seien – Stand Mitte August – „alleine in den letzten Wochen mehrmals Menschen in psychischen Ausnahmesituationen von der Polizei erschossen worden“. Fünfmal starben in diesem Jahr Menschen, nachdem sie Polizisten oder andere Menschen mit Waffen angegriffen hatten. Einmal davon untersucht die Staatsanwaltschaft noch, ob und, wenn, wie stark der Täter verwirrt war.

Das rassistische, extremistische Bild, dass die jungen Politiker der Grünen von der Polizei zeichnen, ist widerlich. Es klammert aus, dass – zumindest im Südwesten – bei der Polizei mehr Muttersprachen als in vielen grünen Ortsverbänden gesprochen werden. Es klammert aus, dass sich Polizisten einer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) nach der nächtlichen Räumung des Stuttgarter Feuersees darüber Gedanken machen, wie es dem schwarzen Obdachlosen geht, den sie – wie die lautstark feiernden Jugendlichen – aus der Parkanlage und damit von seinem Schlafplatz verweisen mussten. Es klammert die Fakten der Stuttgarter Krawallnacht aus: 32 verletzte Polizisten, 65 Prozent der bislang 88 ermittelten mutmaßlichen Täter sind deutsche Staatsbürger, von ihnen wiederum haben 75 Prozent einem Migrationshintergrund.

Das Papier der Grünen Jugend wäre ernst zu nehmen, berücksichtigte es, dass gerade die Sanitäter und Sozialarbeiterinnen, von denen sie künftig statt unbewaffneter Polizisten mehr auf der Straße sehen wollen, in diesen Tagen nahezu täglich bei ihrer Arbeit von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten vor Angriffen geschützt werden müssen. Das grüne Urgestein, Ministerpräsident Winfried Kretschmann, weiß das – und dankte am Dienstag demonstrativ der Polizei für ihre Arbeit. Da ist noch viel zu lernen für den politischen Nachwuchs.

franz.feyder@stuttgarter-nachrichten.de