Ein beliebtes Fotomotiv bei Touristen: Die blaue Moschee in Istanbul, in deren Nähe zehn deutsche Urlauber bei einem Selbstmordanschlag ums Leben gekommen sind. Foto:  

Terroranschläge und weltweite Krisen haben die Deutschen bislang nicht vom Reisen abgehalten. Das wird auch in Zukunft so bleiben.Allerdings werden sich die reisenden ihre Ziele genauer aussuchen, kommentiert Steffen Rometsch.

Stuttgart - Die Terroranschläge in Istanbul, Paris und im tunesischen El-Kantaoui, der Flüchtlingsansturm auf Griechenland und andere Mittelmeerländer, Vergewaltigungsberichte aus Indien – zuletzt gab es viele Gründe, lieber zu Hause zu bleiben. Da mag Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) noch so sehr appellieren: „Ich sehe keinen Grund, von Reisen in die Türkei abzusehen. Wir wollen unser Verhalten, unser Leben nicht verändern.“ Selbst wenn er in der Sache recht hat, hilft es in der Praxis wenig. Wer will seine schönste Zeit des Jahres schon gerne mit Angst und Ungewissheit als ständigen Begleitern verbringen?

Rund jeder vierte Urlauber will wegen der Terroranschläge in den vergangenen Monaten bestimmte Länder ausklammern. Das geht aus einer YouGov-Befragung hervor, die allerdings noch vor dem Anschlag in Istanbul mit zehn deutschen Opfern durchgeführt wurde. So sagten 26 Prozent der Befragten, einige Länder meiden zu wollen. Diese Zahl dürfte nach dem Selbstmordattentat am Bosporus noch gestiegen sein – und die Türkei nimmt auf der Liste der zu meidenden Länder einen vorderen Rang ein. Das zeigt sich derzeit auch auf der weltweit größten Publikumsreisemesse. Das Interesse am Stand der Türkei auf der CMT in Stuttgart hält sich in überschaubaren Grenzen, während sich anderswo die Besuchermassen durch die Gänge schieben.

Die islamistischen Terroristen haben den Tourismus als Ziel entdeckt

Tunesien, Thailand, Ägypten, Türkei – die islamistischen Terroristen haben den Tourismus als Ziel entdeckt. Hier treffen sie zum einen die Urlauber und damit das Herkunftsland, aus dem die Reisenden kommen. Und sie treffen zum anderen das Land, in dem sie ihre Bomben zünden, und dessen Tourismusbranche, die Wirtschaft. Die Türkei wird das in diesem Jahr zu spüren bekommen – wie hart, bleibt abzuwarten. Seit 2012 strömten jedes Jahr mehr Deutsche in das Land. 2015 wurden nach türkischen Angaben 5,5 Millionen Gäste aus Deutschland gezählt.

Die jüngsten Anschläge werden die Welt und damit auch das Reiseverhalten verändern. Zwar proklamiert der Chef der UN-Tourismusorganisation UNWTO, Taleb Rifai, dass Terroranschläge nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre mittel- und langfristig keine größeren Folgen für den Tourismus haben würden und sich die Urlauberbranche nach solchen Attacken rasch erhole. Doch Touristenströme werden sich verändern. Offenheit und kulturelle Neugier sind Grundlagen und Triebfedern des Reisens. Wo aber Freiheit und Sicherheit nicht mehr gewährleistet sind, werden sich die Urlauber schnell rar machen.

Gefragt nach den Konsumprioritäten, rangieren Urlaubsreisen bei den Deutschen nach dem Thema Ernährung noch immer auf Rang zwei. Gut so. Denn wegen Terror und Konflikten auf das Reisen ganz zu verzichten wäre die falsche Reaktion. Die Deutschen werden sich ihre Lust am Reisen nicht nehmen lassen – sie werden sich aber andere Ziele suchen. Spanien etwa oder Italien. Oder aber Deutschland. Das muss kein Fehler sein. Rund 69 Milliarden Euro haben deutsche Touristen 2015 für längere Urlaubsreisen ausgegeben, die Baden-Württemberger ließen sich ihre Ferien rund neun Milliarden Euro kosten. Schon jetzt macht knapp ein Drittel der Deutschen Urlaub in Deutschland. Wenn dieser Anteil am Kuchen noch etwas größer wird, kommt dies der hiesigen Tourismuswirtschaft und dem Arbeitsmarkt zugute – immerhin beschäftigt die Reisebranche in Baden-Württemberg mehr Mitarbeiter als die Automobilindustrie. Und das sind Arbeitsplätze, die nicht ins Ausland verlegt werden können.

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