Freut sich auf seine Aufgabe: Hoffmann Foto: dpa

Kaum einer kennt Reiner Hoffmann, der am Montag Michael Sommer an der Spitze des DGB abgelöst hat. Doch das kann von Vorteil sein: Hoffmann hat Spielräume – er muss sie nur nutzen, findet unser Kommentator Willi Reiners.

Stuttgart - Reiner wer? Man dürfte diese Frage in den kommenden Wochen häufiger hören, wenn der Name des neuen Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbunds aufgerufen wird – zumindest außerhalb von Gewerkschaftskreisen.

Ein Nachteil muss das für Reiner Hoffmann, der am Montag Michael Sommer an der Spitze des DGB abgelöst hat, nicht sein. Im Gegenteil. Gerade weil er nach seiner Karriere beim Europäischen Gewerkschaftsbund in Brüssel die deutsche politische Bühne als relativ unbeschriebenes Blatt betritt, könnte er in einer Phase der gewerkschaftlichen Neuorientierung die richtige Besetzung fürs Spitzenamt sein. Die erforderlichen persönlichen Eigenschaften jedenfalls bringt Hoffmann mit. Er gilt als pragmatisch, weltgewandt, gut vernetzt und locker. Zudem wirkt er trotz seiner 58 Jahre jungenhaft-frisch. 

Mit Blick auf den Wachwechsel beim DGB ist im vorhinein oft das Wort von der Zäsur bemüht worden. Das ist naheliegend, auch wenn sich dahinter zunächst nicht mehr als eine Erwartungshaltung an den Neuen verbirgt, der dieser sich erst zu stellen hat. Dagegen ist schon Geschichte, dass sich sein Vorgänger mit großer Verbissenheit ein Jahrzehnt lang an der rot-grünen Agenda 2010 und der schwarz-roten Rente mit 67 abgearbeitet hat.

Und dass er auch im Kampf gegen Niedriglöhne, Tarifflucht sowie weitere angenommene und tatsächliche Missstände enorm viel schlechte Laune verbreitete. Sommers Strategie war die Totalopposition. Er zementierte das Bild des ewig nörgelnden Gewerkschafters, dem es in erster Linie um Besitzstandswahrung zu tun ist. Und dem deshalb niemand mehr zuhören mag. Hoffmann muss nun neue Akzente setzen, sowohl bei den Themen als auch in der Tonalität, mit der Gewerkschaften ihre Forderungen vortragen. 

Die Startposition für den gebürtigen Wuppertaler ist günstig. Er übernimmt in einer Phase, da zentrale Gewerkschaftsanliegen kurz vor der politischen Umsetzung durch die Große Koalition stehen. Auch wenn Experten noch so eindringlich vor den Folgen warnen – beim Mindestlohn und bei der abschlagsfreien Rente mit 63 geht es nur noch um Details. Zu Sommers späten Genugtuung fühlen sich die Gewerkschaften wieder von der Politik gehört.

Zugleich haben wichtige Einzelgewerkschaften erstmals seit Jahren ihren Mitgliederschwund zumindest stoppen können. Auch das hat wohl mit der Teilrevision der Agenda-Politik zu tun, mehr noch aber vermutlich mit wieder selbstbewussteren Tarifabschlüssen, nachdem die Lohnzurückhaltung in den Jahren der Krise die Gewerkschaften viel Zuspruch gekostet hatte. 

All dies verschafft Hoffmann Handlungsspielräume, und zwar nicht nur, wenn es darum geht, mächtigen Einzelgewerkschaften zusammenzubinden oder kampflustige Spartengewerkschaften zur Räson zu rufen. Erste Duftmarken hat er bereits gesetzt, indem er etwa für Flexibilität beim Renteneintritt votierte. Oder für mehr Steuergerechtigkeit und gegen die Kalte Progression.

Letzteres ist nun nicht gerade ein Herzensthema der Gewerkschaften, spricht aber vielen aus der Seele, die mit guter Arbeit gutes Geld verdienen – und dafür bei jeder Tariferhöhung vom Fiskus bestraft werden. Es wäre klug, wenn Hoffmann sich auf die Seite auch dieser Arbeitnehmer stellen würde. In den letzten Jahren konnte man nämlich angesichts der unablässigen Gewerkschaftskritik den Eindruck haben, prekäre Beschäftigungsverhältnisse seien hierzulande in der Mehrzahl und der Mindestlohn folglich das einzige relevante Thema. Dem ist aber nicht so. Deutschland ist ein Hochlohnland. Da hat die Masse der Arbeitnehmer auch noch ganz andere Sorgen.

w.reiners@stn.zgs.de