Kinder müssen in den Ferien auch einfach mal nichts machen. Foto: dpa

Früher waren sechs Wochen Sommerferien auch mal ganz schön langweilig. Heute haben Kinder keine Zeit sich zu langweilen. Eltern müssen aber keine Entertainer sein: Die Sommerferien sind auch zum Nichtstun da, kommentiert Anja Wasserbäch.

Stuttgart - Dass früher alles besser war, ist eine tumbe Lebensweisheit. Nichts war früher besser. Vieles war einfach nur anders. Zum Beispiel die sechs Wochen Sommerferien in den 80er Jahren. Wenn es gut lief: drei Wochen Camping in Kroatien, frittierte Tintenfischringe, Eis für 50 Pfennig die Kugel, baden, Sandburgen bauen – mehr nicht. Keine Animation, keine Kinderbetreuung. Die restliche Ferienzeit verbrachte man daheim mit Ferienprogrammpunkten der Gemeinde, was selten spannender als Kartoffeldruck war – und dennoch sehr unterhaltsam. Weil eben alle anderen daheimweilenden Kinder im Ort auch dabei waren. Außerdem: ein bisschen Freibad, Pommes, Lager bauen, Fange spielen, mal einen Ausflug in den Zoo –aber auch und vor allem gepflegte Langeweile. „Mama, mir ist langweilig“, sagt heute kaum ein Kind in den Ferien. Es hat ja keine Zeit sich zu langweilen. Immerhin das war früher besser.

Entspannt ist heute keiner – weder Kinder noch Eltern. 2017 hat ein Schulkind im Land 59 Tage Ferien. Ein Arbeitnehmer mit einer 100-Prozent-Stelle hat im Schnitt 30 Tage Urlaub. Diese Rechnung geht nicht auf, dafür muss man kein Drei-Satz-Profi sein. Da steht am Ende ein Minus davor, außer die Eltern urlauben getrennt. Und jetzt kommt die Organisationshölle: Wer kein funktionierendes Netzwerk aus Omas, Opas und anderen Eltern, aus Waldheim und Ferienbetreuung hat, ist gelackmeiert.

Schuld sind immer die anderen. Das ist natürlich ein ebenso tumber Spruch, wie jener, dass früher alles besser war. Das System krankt. Und es ist nicht nur für die Rente gut, dass heute beide Elternteile arbeiten gehen, sich wenn möglich alles, so gut es eben geht, teilen: Kinder, Haushalt, Gelderwerb. Dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sehr, sehr schwierig ist, bestreitet jedoch niemand.

Fehlt nur noch, dass Papa am Morgen Robbie Williams‘ Lied „Let Me Entertain You“ anstimmt

Aber auch die Eltern selbst haben eben hohe Ansprüche an sich und die Kinder. Das Kind soll die bestmöglichen Voraussetzungen für das Leben und die spätere Karriere haben, alle Talente werden gefördert und das Kind oft überfordert. An Werktagen werden die Kleinen zu Ballett und Klavier, Sport und Frühförderung kutschiert, an den Wochenenden werden Ausflüge gemacht, Instagram-taugliche Kuchen mit Agavendicksaft gebacken, fehlt nur noch, dass Papa am Morgen am Kinderbett steht und Robbie Williams‘ Lied „Let Me Entertain You“ anstimmt. Doch Eltern müssen keine Bespaßungsbeauftragten sein. Auch nicht in den Ferien, die von Anfang bis Ende durchgeplant werden. Die Beweggründe liegen auf der Hand: Wer arbeitet, hat einen engen Rahmen für Eltern-Kind-Zeiten, die voll ausgenutzt werden wollen. Dabei soll das Kind noch bestmöglichst gefördert werden. Der Druck kommt auch von außen. Die Kitamutter schwärmt von der Kinderanimation auf Mallorca, der Vater von Liv will unbedingt mal wieder auf Safari mit den Kindern, und der Papa von Lena und Levy preist die Bootstour auf der Ostsee – keiner erzählt natürlich, dass es schlechte Laune, Schnakenstiche und Streit gab und dass sie einfach auch mal nichts gemacht haben.

Dass Langeweile wichtig ist, wissen Psychologen, Hirnforscher, Erziehungspäpste und Philiosophen. „Langeweile ist hirntechnisch das Beste, was einem Kind passieren kann“, sagt etwa der Neurobiologe Gerald Hüther. Denn nur aus der Langeweile heraus, entwickle es selbst seine eigenen kreativen Ideen. „Wenn ein Kind seine Lust des Lernens verliert, müssen wir uns fragen, was wir falsch machen“, so Hüther.

Jetzt fast am Ende der Sommerferien kann man sich zumindest vornehmen, dass es am kommenden Wochenende ganz ohne Plan geht. Dass gemalt, gefaulenzt, gespielt und eben sich gelangweilt wird. Das entspannt übrigens auch die Eltern.