Bundespräsident Horst Köhler ist zurückgetreten. Foto: dpa

Köhlers Argumente für seinen Rücktritt können nicht überzeugen, sagt Wolfgang Molitor.  

Mit Verlaub, Herr Präsident: Es fällt schwer, der freundlichen Bitte, Verständnis für Ihren Rücktritt aufzubringen, nachzukommen.

Im Gegenteil: Horst Köhlers sofortige Demission kommt nicht nur überraschend, überrumpelnd. Sie wirkt überstürzt, wie eine Flucht aus dem höchsten Amt im Staate. Da wirft einer hin - und schadet dem Amt damit mehr als alle seine zum Teil bösartigen Kritiker zusammen. Sagen wir es offen: Ein Bundespräsident tritt nicht so einfach zurück, wenn er den notwendigen Respekt vermisst. Es sein denn, er zieht die Konsequenz, weil er glaubt, Fehler - unentschuldbare Fehler - gemacht zu haben, seinem Amt selbst Schaden zugefügt zu haben.

Das aber kann Köhler nicht vorgeworfen werden. Das braucht er sich auch selbst nicht vorzuwerfen. Die vorschnellen Unterstellungen, er habe in dem verpatzten Rückflug-Interview unmittelbar nach einem Blitzbesuch der deutschen Truppe in Afghanistan Einsätze der Bundeswehr befürwortet, die vom Grundgesetz nicht gedeckt seien, mögen Köhler, den Empfindsamen, kränken. Aber waren sie, kaum dass sie auf den Medien-Marktplätzen herausposaunt waren, nicht alsbald ad absurdum geführt? Köhler sagt es selbst, glaubhaft und integer wie immer: Nein, diese Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung. Und ja, seine Äußerungen darf man ruhig missverständlich, auch unglücklich nennen. Aber sie sind in dem Wissen um Köhlers aufrechte Geisteshaltung und politische Klugheit verzeihlich. Zu bedauern und dann abzuhaken.

Für die Bundeskanzlerin kommt Köhlers Rücktritt zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt - falls es für Angela Merkel zurzeit überhaupt günstige Zeitpunkte gibt. Köhler war der Repräsentant des schwarz-gelben Wechsels. Er war der präsidiale Vorläufer einer parlamentarischen Wachablösung, der weltoffene Garant bürgerlicher Geschlossenheit. Seine erste Wahl 2004 war für Merkel und FDP-Chef Guido Westerwelle der gelungene Probelauf, Rot-Grün auch aus dem Kanzleramt zu drängen. "Horst wer?", haben sie damals spöttisch getitelt. Doch schnell war klar: Köhler war ein guter Griff. Über seine Wiederwahl haben sich die allermeisten Deutschen, über die Parteigrenzen hinweg, gefreut.

Jetzt muss Schwarz-Gelb einen neuen Kandidaten präsentieren, aus dem Hut zaubern. Nicht beschwingt durch die konsequenzlose Geschlossenheit von Oppositionsparteien, sondern belastet von der Herausforderung, eine schon nach wenigen Monaten zermürbte, zerstrittene Regierungskoalition auf die Schnelle zu einer gemeinsamen Personalentscheidung zu bewegen. Wer will ausschließen, dass aus den Reihen der Liberalen nicht der Ruf nach einem eigenen, freidemokratischen Bewerber ertönt? Im Vertrauen auf wohlwollende Sozialdemokraten? Und wer traut Merkel noch genügend Autorität zu, um in der Union einen Kandidaten ihrer Wahl durchzusetzen?

Köhlers hastiger Rücktritt ist für Merkel ein Rückschlag - schlimmer, viel schlimmer als der kontrollierte Abgang von Roland Koch. Der sensible Präsident soll sich in seiner zweiten Amtszeit von der robusten Kanzlerin nicht genügend unterstützt gefühlt haben. Geschwiegen hatte er lange, war medial abgetaucht, vergrätzt vergraben im Schloss Bellevue. Das Amt, es war ihm Last geworden. Merkel wird Köhlers frustrierten Abgang, der auch sie brüskierend überraschte, nicht einfach damit abtun können, der Entscheidung Respekt zu zollen.

Köhler hat das gewusst und gewogen. Dennoch hat er sich, fremdelnd, nicht weiter in die Pflicht nehmen lassen wollen. Ohne Perspektive, gehört zu werden, mit seinen Mahnungen durchzudringen. Die Republik verliert einen guten, einen populären Präsidenten. Die Bundesregierung verliert einen Pfeiler ihrer Macht. Es kracht im schwarz-gelben Gebälk.