Die Prozessoren vieler Rechner könnten ein Einfallstor für Datendiebe sein. Foto: dpa

Viele Nutzer von Smartphones und Computern kümmern sich wenig um die Sicherheit ihrer Daten. Der neueste Murks der Chiphersteller zeigt, dass diese Einstellung gefährlich ist, kommentiert Erik Raidt.

Stuttgart - Ein Hausbesitzer, der in einer zwielichtigen Gegend wohnt, in der noch dazu selten ein Streifenwagen der Polizei vorbeikommt, lässt seine Haustür sperrangelweit offen stehen. Anschließend nimmt er sich ein Blatt Papier und schreibt in gut lesbaren Druckbuchstaben darauf: „Bin zwei Wochen im Urlaub.“ Praktischerweise hat er sein Bargeld nicht in der Bank, sondern in einem Tresor zu Hause gelagert und als Code für den Schließmechanismus die Zahlenreihe seines eigenen Geburtsdatums eingegeben.

So ungefähr muss man sich die Sicherheitslage in der Informationstechnologie vorstellen, wenn man die Meldungen zum Maßstab nimmt, die nun öffentlich geworden sind: Eine Sicherheitslücke in Computerchips betrifft Milliarden von Geräten, die weltweit von Privatpersonen, Unternehmen oder Behörden genutzt werden. Klipp und klar gesagt: betroffen sind unsere Laptops, auf denen wir sensible geschäftliche Informationen speichern, unsere Smartphones, auf denen wir privat mit Familienmitgliedern und Freunden kommunizieren, sowie sogenannte Cloud-Speicherdienste, mit deren Hilfe wir Fotos oder Musikdateien nutzen.

Bedingt abwehrbereit

Was die Sache noch bedrohlicher erscheinen lässt: die Sicherheitslücken bestehen nicht in einem randständigen Bereich der Informationstechnologie, der Prozessor selbst ist die Schwachstelle – also das Hirn eines Computers oder Smartphones, das in kaum mehr vorstellbarer Geschwindigkeit die Rechenarbeit erledigt. Wenn sich Hacker für unsere Daten interessieren, können sie über den Prozessor als Einfallstor auf diese zugreifen oder stehlen. Die Haustür für Angreifer steht offen – und das nicht erst seit zwei Wochen, sondern wie nun bekannt wurde, seit mehr als 20 Jahren. So lange baut der Chiphersteller Intel die anfälligen Prozessoren bereits in Geräte ein.

Was folgt daraus für die Verbraucher, die sich ihren Alltag ohne all die technischen Geräte nicht mehr vorstellen können? Zunächst die Gewissheit, dass all die von Unternehmen gepriesenen Anti-Virenschutzprogramme, Passwortzahlenkolonnen und Sicherheitsupdates zwar sinnvoll und notwendig sind, aber sogar die großen Tech-Konzerne nur bedingt abwehrbereit sind im Kampf gegen technisch hochgerüstete Cyberkriminelle. Wer sorglos persönliche Informationen teilt und Dateien in Datenwolken speichert, der bekommt nun erneut vor Augen geführt, welches Risiko er eingeht.

Die Risiken werden zunehmen

Dass die Branchenriesen Intel und Arm – letzterer dominiert den Smartphone-Markt – nicht beziffern können, ob und in welchem Ausmaß die Sicherheitslücken von Angreifern ausgenutzt wurden, sollte die Verbraucher nicht in falscher Sicherheit wiegen. Dies hat auch mit den Umständen zu tun, unter denen die nun bekannt gewordenen Probleme entstanden sind: Die Hersteller sorgten bei ihren Prozessoren für mehr Rechenpower, indem sie später benötigte Informationen vorab abriefen. Schnelligkeit ging zulasten von Sicherheit.

Hochgeschwindigkeit ist jedoch gerade in der digitalen Welt der Schlüssel zu vielen bunten Zukunftsverheißungen der Industrie: dem autonom fahrenden Auto oder der künstlichen Intelligenz in den Amazon- oder Apple-Lautsprechern – allesamt sind Datenstaubsauger, deren Leistungsfähigkeit entscheidend von schnellen Prozessoren abhängt. Wenn Unternehmen – egal ob Chiphersteller oder Automobilfirmen – um Marktanteile kämpfen, wird dies auch in Zukunft auf Kosten von Sicherheitsbedenken gehen. Es gelten die Gesetze aus der analogen Welt: Mehr Freiheit bedeutet in manchen Fällen weniger Sicherheit. Dessen sollte sich jeder Hausbesitzer bewusst sein, der die Tür nicht mehr hinter sich verschließen kann. Den dazu passenden Schlüssel besitzt er in Wahrheit gar nicht selbst, sondern die Industrie.

erik.raidt@stzn.de