Wasserspiele am Stadtpalais Foto: StZ

Mit Kulturpromis hat das Stadtpalais den Start von „ Stuttgart am Meer“ gefeiert. Ist der Titel eine Anmaßung? Oder der Beweis dafür, wie heilsam Illusion sein kann? Unser Kolumnist Uwe Bogen über Wasserspiele, Sehnsüchte und Träume.

Stuttgart - Leicht erhöht steht ein Fernrohr beim Stadtpalais, an dem neuerdings das Gesetz des Dschungels gilt. Vor den Treppen und im Museumsgarten feiert der Sommerhit vom vergangenen Jahr mit runden Mini-Pools und nachempfundenen Pflanzen sein Stadt-am-Meer-Comeback. Holzbretter sind zur Straße hin zusammengenagelt, auf denen man zum Teleskop gelangt. In Richtung Planie und Schlossplatz ist es aufgestellt.

Wer durchschaut, sieht drei in Versalien geschriebene Wörter noch viel größer: „SCHEIZE – LIEBE – SEHNSUCHT“.

„Scheize klingt wie Musik von Mozart“

Bei der Fassadenschrift des Kunstmuseums zur Ausstellung des Isländers Ragnar Kjartansson (am Freitagabend ist Eröffnung) handelt es sich um die deutschen Lieblingswörter des Künstlers. „Scheize klingt wie Musik von Mozart“, sagt er. Es sind drei Wörter, die, wie geunkt wird, gut zu einer Stadt passen, die zwar einen Neckar hat, aber nur wenig aus dem Fluss macht. Liebe Kinder, nicht nachsprechen und nicht nachmachen! Scheize mit z ist falsch geschrieben – aber deshalb womöglich nicht ganz so unfein?

Die drei Wörter beschreiben die momentane Gefühlslage im Kessel gar nicht so schlecht. Viele finden SCHEIZE, was in Stuttgart mit Staus, Baustellen, immer neuen Schocknews um Stuttgart 21 passiert. Dennoch empfinden sie LIEBE für ihre Stadt. Und haben SEHNSUCHT nach Meer und noch mehr, was in einer hektischen Stadt urbane Erholung bringt.

Die Surfwelle kommt erst am 15. August

Im Museumsgarten ist König Wilhelm II. mit seinen Spitzen zugebaut. Bereits zur Eröffnung des Stadtmuseums hat man das Denkmal zurückgesetzt, von der Straße weg, versteckt nach hinten. Noch fehlt hier die Surfwelle, die im vergangenen Sommer Hauptattraktion war (sie ist nur für 15. bis 25. August gebucht). Oasen mit Wasser? Hinterm früheren Wilhelmspalais macht uns noch keiner nass. Und so fragt man sich bei der Eröffnung mit Rathaus- und Kulturpromis: Gibt Stuttgart nicht Meer her?

Auf der vorderen Seite verbreitet die Daniel Betriebskapelle Mijic, die bunte, verrückte Band der Kunstakademie, Spaß für Gäste wie Bürgermeister Fabian Mayer, Renitenz-Intendant Sebastian Weingarten, Dieter Krauß, den Chef des Trickfilm-Festivals, Patrick Mikolaj vom Unnützen Stuttgartwissen, Wolfgang Müller, den Vorsitzenden der AG Stadtgeschichte, den künftigen Kulturamtsleiter Marc Gegenfurtner. Wenige Meter weiter rauscht zwar kein Meer, aber viel zu viel Verkehr auf der Stadtautobahn. „Die Sommerinstallation hebt die trennende Wirkung der B 14 ein wenig auf“, lobt Blogger Mikolaj. Weil „Stuttgart am Meer“ vor einem Jahr ein Publikumshit war, hat der Gemeinderat eine Förderung von 80 000 Euro beschlossen. Ursprünglich war die Summe für das New Fall Festival vorgesehen, das aber bekanntlich abgesagt worden ist. Nun geht die Stadt fünfstellig baden, planschend mit den Beinen.

Leinen los am Neckar!

Stuttgart am Meer – das ist so abwegig und pervers, wie wenn der Papst im Kettenhemd boxt oder der VfB in der Champions League spielt. Aber man wird doch mal träumen dürfen! Ans echte Meer sollen wir nicht mehr fliegen, weil Sprüche und Demos für das Klima ohne persönliche Einschränkungen unglaubwürdig sind. Machen wir unser eigenes Meer. Mit der Kraft der Illusion gelingt viel. Wasser marsch! Wasser brauchen wir zum urbanen Überleben.

Leinen los am Neckar! Der Sänger der Betriebskapelle hüpft als irre Sonne umher, hinter ihm spielt das Kamel Bass und besser. Willkommen an Bord der Fantasie! Solange der Neckar dreckig ist und wir uns um die Gesundheit der darin schwimmende Aktivisten sorgen, reicht es nicht, wenn wir planschen im Palaispool. Bei Stuttgart am Meer kann man Kraft tanken. Dann muss Druck folgen – aus LIEBE und SEHNSUCHT, bis aus SCHEIZE Dünger wird. Die Aktion am Stadtpalais wird also wieder ein Volltreffer.