Wie gehen Jungs mit Mädchen auf dem Spielplatz um? Müssen Eltern schon so früh auf Gleichberechtigung und Gendergerechtigkeit achten? (Symbolfoto) Foto: Pixabay

„Hallo ihr Ladies! Küsschen Küsschen!“ Unsere Kolumnistin ist entsetzt, als ihr vierjähriger Sohn auf dem Spielplatz den RTL-Bachelor-Jargon auspackt. Ist das nicht vorpubertäres #metoo zwischen Rutsche und Klettergerüst? Entschlossen steuert sie gegen.

Stuttgart - Mein vierjähriger Sohn brachte vor einiger Zeit öfter mal Sätze mit nach Hause, die direkt aus der Mottenkiste der Geschlechterklischees stammten. „Jungs sind frech und Mädchen brav“, erklärte er mir zum Beispiel. Oder: „Jungs müssen cool sein – und Mädchen schön.“ Das war nicht gerade das, was ich mir in Sachen Gender-Erziehung mal so vorgestellt hatte.

Überhaupt muss ich sagen, dass in der Hinsicht Vieles nicht ganz so läuft, wie wir Eltern das auf dem pränatalen Reißbrett der Erziehungsvorhaben geplant hatten. Zum Beispiel mag unser Sohn ausschließlich klassisches Jungsspielzeug. Feuerwehrequipment natürlich. Ritterburgen und Piratenschiffe. Keine Puppe oder Steckperle, nirgends. Außerdem spielt er Fußball, mag nicht malen, dafür gern kämpfen, und wenn ich ihm einen pinkfarbenen Plastiktrinkbecher hinstelle, schreit er: „Iiiiiiiiiih, ein Mädchenbecher!“

Bloß keine genderneutrale Erziehung

Ich habe das bislang eigentlich ganz locker genommen. Ich will keine genderneutrale Erziehung, wie sie beispielsweise in manchen schwedischen oder isländischen Kindergärten praktiziert wird, und in der keine Spielsachen vorkommen, die irgendwie männlich oder weiblich konnotiert wäre. Ich glaube, dass es angelegte Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen gibt, die sich eben auch in Interessen äußern. Und außerdem muss ich selbstkritisch sagen, dass wir unserem Sohn eben tatsächlich auch nie eine Puppe geschenkt hatten.

Was ich allerdings nicht ganz so locker nehmen konnte, waren die eingangs erwähnten Glaubenssätze aus der emanzipatorischen Steinzeit. Denn welches Mädchen- beziehungsweise Frauenbild das Kind hat, das ist mir dann doch ziemlich wichtig. Endgültig alarmiert war ich deshalb, als ich auf dem Spielplatz Zeugin wurde, wie mein Sohn und sein Freund zwei Mädchen im RTL-Bachelor-Jargon „Hallo, ihr Ladies!“ zuriefen und dazu Kussgeräusche machten.

Gegensteuern mit Pippi-Langstrumpf-Gehirnwäscheprogramm

War das nicht eine Art vorpubertäres #metoo zwischen Rutsche und Klettergerüst? Wären die Protagonisten im Erwachsenen-Alter, hätte die Szene zumindest für einen Tweet-Beitrag zu der entsprechenden Debatte getaugt. In jedem Fall verstand ich auf einmal ein bisschen besser, warum die Stadt München über mehr Gendergerechtigkeit auf Spielplätzen nachdenkt, und unter anderem überlegt, dort Rückzugsräume für Mädchen zu schaffen.

Ich hatte das Gefühl, dass ich nun unbedingt gegensteuern müsse. Und startete so eine Art Pippi-Langstrumpf-Gehirnwäscheprogramm. Zum Beispiel holte ich ganz viele Starke-Mädchen-Bücher aus der Stadtbibliothek. Ich vereinbarte vermehrt Playdates, bei denen das Kind einziger Junge unter mindestens vier Mädchen war, und mit den Fingerpuppen spielten wir Geschichten, in denen die Prinzessin Kasperle vor dem Krokodil rettete. Als ich dann auch noch dem Mann erklärte, dass wir dem Sohn vielleicht nicht genug Gleichberechtigung vorlebten, erklärte er mich endgültig für leicht hysterisch.

Manches regelt sich von allein

Ich finde nach wie vor, dass ich das nicht war und dass ein respektvoller, gleichberechtigter Umgang mit dem anderen Geschlecht schon von Kleinkindern verlangt werden kann. Und dass Zuschreibungen von außen wie „brav“ und „schön“ beziehungsweise „frech“ und „cool“ tatsächlich Einfluss auf das Verhalten von Mädchen und Jungen, (und später von Frauen und Männern) haben können. Aber wahrscheinlich bin ich das Ganze ein wenig arg verbissen angegangen.

Denn, wie so oft bei Kindern, heilt manches ganz einfach die Zeit. Oder, wie in unserem Fall, die kleine Schwester. Die ist nämlich mit ihren 14 Monaten ein ziemlich willensstarker Charakter – und alles andere als brav. Recht rabiat reißt sie ihrem Bruder sämtliche Spielzeuge aus der Hand, interessiert sich ausschließlich für seine Feuerwehrfahrzeugesammlung, ist im Spiel mit ihm die natürliche Chefin der Polizeistation und krabbelt furchtlos in jedem Fußballspiel zwischen Sohn und Vater in unserem Garten herum.

Kürzlich hörte ich, wie mein Sohn zu einem anderen Jungen sehr stolz sagte: „Das ist meine kleine Schwester. Sie wird mal Fußballerin oder Feuerwehrfrau!“ Seither gehe ich das Ganze deutlich entspannter an.

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Die Autorin Lisa Welzhofer ist Mutter zweier Kinder und lebt in Stuttgart. In ihrer Kolumne macht sie sich regelmäßig Gedanken über Kinder, Kessel und mehr.