Wer mehrere Magen-Darm-Geschichten mit Kindern hinter sich hat, ist beim Thema Ausscheidungen schmerzfrei. Foto: Photophonie/Stock Adobe

Unsere Kolumnistin hat die letzten Tage damit verbracht, Exkremente wegzuputzen. Was das mit goßen Gefühlen zu tun hat – und warum mit Eltern keine Revolution zu machen ist, erklärt sie hier.

Stuttgart - Falls Sie mich fragen wollten, was ich in letzter Zeit so gemacht habe (und falls nicht, erzähle ich es trotzdem): Ich habe Pipi, Kacka, Rotz und Kotze weggeputzt. Manchmal auch Kotze, Pipi, Kacka und Rotz – und dann wieder von vorne. Und das Ganze gern mitten in der Nacht. Die Kinder (knapp zwei und fünf Jahre alt) hatten diesen Magen-Darm-Virus – er kam zwei Mal wieder – und dann noch eine Erkältung obendrauf.

Ich erzähle das nur, weil ich vermute, dass die meisten Leserinnen und Leser dieser Kolumne selbst Mütter und Väter sind. Tatsächlich kann man sich, außer mit medizinisch geschulten Menschen, nur mit anderen Eltern ekel- und würgfrei über solche Themen unterhalten. Und tatsächlich kommen auch nur Eltern auf die irre Idee, über solche Dinge zu schreiben – wahrscheinlich weil einem als Mutter und Vater irgendwann gar nichts mehr peinlich ist.

Grenzerfahrungen im Exkremente-Tsunami

„Mit Kindern macht man eben Grenzerfahrungen“, sagte der Mann, als wir um circa 2.23 Uhr morgens, mittlerweile recht eingespielt und plastikbehandschuht, mit Küchenkrepp, Putzeimer und Allzweckreiniger hantierten. Okay, wir waren nicht im Krieg oder im Auge eines Wirbelsturms – und vielleicht ist der Begriff Grenzerfahrung in dem Zusammenhang etwas vermessen – aber inmitten des Exkremente-Tsunamis fühlten wir uns schon ein bisschen so.

Apropos Grenzerfahrung. Während man in Sachen Ausscheidungen als Eltern irgendwann schmerzfrei und abgebrüht wird, ist es mit der Gefühlswelt ja genau das Gegenteil.

Ich war zum Beispiel immer ein recht ausgeglichener Mensch. Manche meiner Freunde würden jetzt sagen „zu ausgeglichen“, aber himmelhoch-jauchzend-zu-Tode-betrübt, das war eben nicht mein Modus. Seit ich Kinder habe, bin ich überhaupt nicht mehr ausgeglichen. Ich kenne jetzt das komplette Gefühlsspektrum: Ich bin froh und traurig, glücklich und wütend, hoffnungsvoll und hoffnungslos, voller Energie und vollkommen leer, stolz und von Selbstzweifeln geplagt. Ich kannte solche Gefühle schon auch vorher, aber jetzt sind sie viel intensiver, und vor allem können sie durch Kleinigkeiten ausgelöst werden.

Emotionen, die sich Eltern verboten oder abtrainiert haben

Wenn der Sohn sich zum Beispiel morgens nicht anzieht, dann macht mich das sehr schnell, sehr übertrieben wütend. Aber wenn er bei der U9-Untersuchung ein Viereck und ein Dreieck richtig zeichnen kann, dann treibt mir das eben auch vor Rührung die Tränen in die Augen. Wenn ich nachts bereits das vierte Mal am Bett der Tochter stehe, um sie zum Wiedereinschlafen zu bringen, dann bin ich mir verzweifelt sicher, dass ich nie wieder durchschlafen kann. Aber wenn sie am nächsten Tag zum ersten Mal das Wort Traktor sagt, dann bin ich zwar sehr müde, aber eben auch sehr glücklich.

Die Autorin Nora Imlau hat in ihrem Buch „So viel Freude, so viel Wut“ geschrieben, dass nicht nur Kinder Gefühle extrem ausleben, sondern dass sie auch ihren Eltern Emotionen entlocken, die die sich jahrelang verboten oder abtrainiert haben.

Ich bin auf jeden Fall dünnhäutig geworden. Das gilt nicht nur für meine Kinder, sondern zum Beispiel auch für Filme und Bücher. Früher habe ich mich gern mit Tragödien umgeben: Weltkriege, Holocaust, Familiendramen – drunter habe ich es nicht gemacht.

Das ganz große Drama ist mir zu dramatisch

Heute meide ich das große Drama, was nicht nur daran liegt, dass ich kaum noch ins Kino komme und mir nach drei Seiten Buchlesen die Augen zu fallen. Nein, das Drama ist mir einfach zu, naja, dramatisch. Ich gucke lieber „Schaun das Schaf“ oder die Erdmännchen „Jan & Henry“ oder eine der Serien, in denen sich Mütter emanzipieren und ihre Männer dumm dastehen lassen („Good Wife“, „The marvelous Mrs. Maisel“). Und dann freue ich mich.

Leider führt meine neue Emotionalität auch dazu, dass ich schlechte Nachrichten schnell wegblättern/-scrollen/-schalten muss. Vor allem, wenn Kinder hungern, Kinder ausgebeutet oder misshandelt werden oder Kinder sterben – was viel zu oft und an viel zu vielen Orten auf der Welt passiert.

Ich frage mich, woran diese Sensibilisierung liegt. Klar, ich bin Mutter. Ich sehe in den fremden Kindern meine eigenen und in den fremden Eltern mich selbst. Aber ein bisschen ist es auch, als hätten meine Kinder die Distanz, die ich zur Welt und den anderen aufgebaut hatte, verringert. Und das führt wiederum dazu, dass ich mich – vielleicht ein bisschen erschrocken – auf mich selbst und meine kleine Welt zurückziehe. Cocooning nennen das die Soziologen. Biedermeier hieß das in einer anderen Zeit – und spätestens jetzt ist mir vollkommen klar, warum mit Eltern kleiner Kinder sehr wahrscheinlich keine Revolution zu machen ist. Sie sind einfach viel zu sensibel dafür – und außerdem viel zu sehr damit beschäftigt, Kacka, Pipi und Kotze wegzuputzen.

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Die Autorin Lisa Welzhofer ist Mutter zweier Kinder und lebt in Stuttgart. In ihrer Kolumne macht sie sich regelmäßig Gedanken über Kinder, Kessel und mehr.