Ein Kind oder doch zwei oder mehr – das ist die Frage. Foto: dpa/Z1003 Jens Büttner

Unsere Kolumnistin wollte immer zwei Kinder – bis sie das erste Mal Mutter wurde. Über die Frage, wie viele Kinder eigentlich genug sind.

Stuttgart - Ich bin ein Einzelkind und ich fand das immer doof. Ich wollte eine große Schwester haben, so eine, von der man sich tolle Ohrringe und coole Klamotten ausleihen konnte, die Dauerwelle trug (so war das Ende der 80er Jahre in der Provinz) und einen mit 14 dann in die Disco schmuggelte. Oder wenn schon keine Schwester, dann halt zumindest so einen saucoolen Bruder, der Metallica hörte und Mofa fuhr. So einen zum nervig finden und doch bewundern. Die ein oder andere Variante hatten fast alle meine Grundschulfreundinnen zu Hause.

Deshalb war mir für mich immer klar: Sollte ich jemals Kinder bekommen, dann mehr als eines. Das war meine Überzeugung – bis kurz nach der Geburt meines Sohnes. Danach dachte ich für längere Zeit: Ein Kind ist doch auch eine Lösung. Und in sehr verzweifelten Momenten ging der Satz auch mal mit „Kein Kind...“

Ich hatte ans Muttersein so meine Anpassungsschwierigkeiten. Es war schon schön, aber auch wahnsinnig anstrengend. Es war der krasseste Einschnitt überhaupt in meinem Leben – im positiven wie im negativen Sinn. Und die Aussicht darauf, das alles (und da schließe ich die eigentliche Geburt, die man ja angeblich sofort wieder vergisst – haha – ausdrücklich mit ein) nochmal durchzumachen, schien mir nicht im Verhältnis dazu zu stehen, dass das zweite Kind sich später mal Ohrringe oder Metallica-Platten ausleihen kann und das erste sich gar eine Dauerwelle machen lässt.

Opferbereit fürs Muttersein?

Und während ich also vollauf mit einem Kind und mir, der Mutter, beschäftigt war, bekamen die anderen Frauen aus dem Geburts- oder Pekip-Kurs schon wieder einen dicken Bauch. „Zwei Jahre Abstand sind doch ideal, dann können die so schön zusammen spielen“, hörte ich ständig. Aber ich hatte gerade wieder zu arbeiten angefangen und, ganz ehrlich, diese wunderbare Ruhe und Selbstbestimmung und finanzielle Unabhängigkeit im Büro war ich nicht bereit sofort wieder herzugeben. In dieser Zeit fragte ich mich manchmal schon, ob ich grundsätzlich zu wenig opferbereit war fürs Muttersein – oder im Gegenteil vielleicht viel zu viel.

Es war irgendwann zwischen dem zweiten und dritten Geburtstag des Erstgeborenen, als ich mich selbst mit dem Gedanken überraschte, es könnte ja eventuell doch ganz schön sein, nochmal Mutter zu werden. Vielleicht waren es die Nächte, die besser wurden. Vielleicht die Erkenntnis, dass jedes Kind tatsächlich größer wird und nicht bis zum Schulabschluss auf dem Arm getragen und gestillt werden muss. Vielleicht war es auch einfach nur der näher rückende 40. Geburtstag. Auf jeden Fall habe ich, als der Sohn dreieinhalb war, noch eine Tochter bekommen.

Alles fängt von vorne an

Ich könnte jetzt natürlich viel darüber erzählen, wie doppelt anstrengend das ist (Menschen, die sich für mehr als zwei Kinder entscheiden, sind für mich wahlweise Heilige oder Verrückte, in jedem Fall sehr bewundernswert). Wie der Mann und ich jetzt halt gar keine Zeit mehr haben, weil immer einer mit irgendeinem Kind beschäftigt ist. Wie wieder alles von vorne anfängt: die schlaflosen Nächte, die Trotzanfälle, das ständige Hinterherrennen. Und wie die Sache mit der Vereinbarkeit von Kindern und Beruf auch nicht gerade einfacher wird.

Aber ich könnte jetzt eben auch sehr viel darüber erzählen, wie toll das ist, ein zweites Mal einem Menschen beim Wachsen und Lernen zuzusehen. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Geschwistern zu beobachten. Wie cool das für Eltern ist, wenn die zwei sich – zwischen SEHR vielen Streitereien – zusammen totlachen und tatsächlich miteinander spielen.

Eine zweite Chance für die Mutterrolle

Dass es für mich die richtige Entscheidung war - und ich betone FÜR MICH, weil das muss jeder so machen, wie er will - liegt aber vor allem daran, dass ich eine zweite Chance bekommen habe. Ich kann jetzt vieles nochmal anders und vielleicht sogar besser machen. Ich habe mehr Routine und Gelassenheit, ich nehme das Ganze nicht mehr ganz so verbissen ernst und weiß eben, dass jedes Kind auch mal größer wird. Ein bisschen ist es, als hätte ich beim zweiten Mal erst so richtig diese Mutterrolle angenommen. Vielleicht hat mich das zweite Kind mit mir als Mutter versöhnt.

Wenn ich mir jetzt auch noch in Zukunft die Ohrringe meiner Tochter ausleihen darf und mich mein Sohn in die Disco schmuggelt, ist alles gut.

Lesen Sie hier mehr aus der Kolumne „Mensch, Mutter“.

Die Autorin Lisa Welzhofer ist Mutter zweier Kinder und lebt in Stuttgart. In ihrer Kolumne macht sie sich regelmäßig Gedanken übers Elternsein, über Kinder, Kessel und mehr. Sie schreibt im Wechsel mit ihrem Kollegen Michael Setzer, der als „Kindskopf“ von seinem Leben zwischen Metal-Musik und Vatersein erzählt.