Mobil: die Hecke 4.0 Foto: factum/Granville

Mooswände? Hat doch mittlerweile jeder! In Ludwigsburg ist derzeit eine fahrende Hecke unterwegs. Wer heute als Grünzeug Erfolg haben will, muss eben flexibel, mobil und belastbar sein.

Ludwigsburg - Damit wir uns gleich zu Beginn richtig verstehen: Wir bei der Zeitung sind keine Fortschrittsverweigerer. Kaum eine Branche ist besser für die Zukunft aufgestellt als wir. Nur manchmal treibt der Fortschrittsoptimismus eben seltsame Blüten, und dann muss man seiner Verwunderung darüber Luft machen.

Wobei wir mit den Blüten und der Luft auch gleich in medias res gehen: In Ludwigsburg ist derzeit eine Hecke auf Tour. Ganz genau, eine Hecke! Am Wochenende noch vor der Stadtkirche gesehen, macht das „Mobile Grüne Zimmer“ genannte Projekt jetzt auf dem Rathaushof Halt. Es sollen weitere Stationen folgen: Tammer Platz in Eglosheim, MHP-Arena, Rathausplatz in Neckarweihingen, Arsenalplatz und der Sonnenberg. Kurzum: die Hecke kommt mehr rum als manch Ludwigsbürger.

Haben Sie schon mal einen Baum gesehen, der rumfahren kann?

Das „Mobile Grüne Zimmer“ – oder kurz MGZ – besteht aus einer zwei Meter hohen, freistehenden Grünwand. Sie ist auf einen Abrollcontainer montiert, der gleichzeitig als Wasserreservoir und Sitzfläche dient – und durch sein Gewicht sicherstellt, dass niemand die Hecke zu sich nach Hause mitnimmt. Die begrünte Wand und das bewachsene Spalierdach können mit einer Solarpumpe bewässert werden. Und wozu das Ganze? Die „Kühl-Oase“, wie sie in einer Pressemitteilung der Stadt genannt wird, soll zum Ausruhen und Genießen einladen. Sie soll Schatten spenden, Staub filtern, Wasser speichern, Lärm mindern und die Umgebung abkühlen.

Fortschrittsverweigerer werden nun entgegnen: All das kann ein Baum auch. Stimmt. Aber haben Sie schon einmal einen Baum gesehen, der rumfahren und damit jedem noch so zubetonierten Fleckchen Stadt ein wenig grünen Charme verleihen kann? Na also!

Die ersten Baumschulen haben bereits auf die Konkurrenz reagiert

Flexibilität und Mobilität, Kernkompetenzen entwurzelter Arbeitnehmer, werden nun eben auch von Grünzeug verlangt. Die ersten Baumschulen haben bereits auf die Konkurrenz reagiert und bieten entsprechende Seminare für ihre Zöglinge. Sie sollen optimal auf die neuen, diversifizierten Anforderungen auf dem floralen Arbeitsmarkt vorbereitet sein. Denn heute reicht es nicht mehr, einfach nur ein stattlicher Baum oder eine buschige Hecke zu sein: Effizient, zweckdienlich und belastbar muss das Gewächs sein. CO2 umwandeln, Feinstaub filtern, Lärm schlucken und und und. Die ersten Pflanzen brechen bereits unter der Mehrfachbelastung zusammen. So leiden zum Beispiel die Mooswände am Stuttgarter Neckartor unter Burnout. Wer kann es ihnen verdenken: Angeblich soll eine von ihnen die gleiche luftfilternde Leistung erbringen wie 275 Bäume. Welche Pflanze soll da denn noch mithalten?

Für ein besseres Eigenmarketing müssen die Gewächse obendrein noch nebenbei die sozialen Medien bespielen: So hat das „Mobile Grüne Zimmer“ einen eigenen Instagram-Account. Dort kann man es auf seiner urbanen Europa-Tournee verfolgen: Brüssel, Zagreb, Antwerpen, London – und jetzt Ludwigsburg. Wir fragen mal besser nicht nach dem ökologischen Fußabdruck der reisefreudigen Hecke.

Wie lässt sich also die Hecke 4.0 bewerten? Klingt alles doch ganz clever, oder? Und passt damit zu einer Stadt, die gerne smart sein will und in der die Mülleimer bereits so intelligent sind, dass sie Bescheid geben, wenn sie geleert werden wollen. Für den Fall, dass die Mülleimer mit der Hecke auf Twitter einen Streit anfangen: Wir halten Sie auf dem Laufenden!