Ex-VfB-Trainer Felix Magath: „So lange die Leistung stimmt“. Foto: Baumann

Sportler, die über die Stränge schlagen, gibt es schon immer. StN-Sportchef Gunter Barner hat seine Meinung zu den Vorkommnissen um Nationalspieler Max Kruse – und blickt zurück auf die Jugendsünden von Ex-Spielern aus Zeiten ohne Facebook und Twitter!

Stuttgart - Wenn sich die Furchen des Lebens mehr und mehr eingraben in die Landkarte seines Gesichts, dann wächst im Sportsfreund naturgemäß die Erinnerung daran, dass es Zeiten gab, in denen er keine Woche brauchte, um sich von einer durchzechten Nacht und einer Havanna zu erholen.

Himmel, das waren noch Zeiten!

Jessas Maria, denkt er sich dann, was hat er denn verbrochen, der Max Kruse? Ein bisschen gefeiert. Haben wir doch alle gemacht. Am Leben teilgenommen. Ein bisschen gezockt, ein wenig geflirtet. Na, und? „Bub“, hat die Großmutter immer gesagt und auf dem Sofa geächzt unter ihren Arthrosen, „genieß die Jugend, so lange du es kannst.“ Daran haben wir uns immer gehalten. Und streng auf das elfte Gebot geachtet: Lass dich nicht erwischen!

Okay, mal eben 75 000 Euro im Taxi liegen lassen, das wäre uns eher nicht passiert. Ein Taxi konnten wir uns nicht leisten. Aber hallo, was hätten wir alles angestellt mit drei Millionen Euro Jahresgehalt in der Tasche? Vielleicht einen Bausparvertrag abgeschlossen, oder was?

Was ist das für eine Jugend, die immer nur im Maßanzug steckt? Vollwaschbar, pflegeleicht und bügelfrei. Der perfekte Profi. Ein gefönter Pudel. Interviews so hohl und leer wie die Schokohasen an Ostern. Ich sach’ mal, dass ich da keine Meinung habe.

Sehen so die Vorbilder 4.0 aus?

Jetzt ist der Schluri Max Kruse erst mal kein Nationalspieler mehr. Man muss deshalb kein Mitleid mit ihm haben, aber ein bisschen Verständnis verdient er schon. Und vielleicht noch ein Rendezvous mit der Reporterin von der „Bild“.

Darf ein Profi denn niemals mehr privat sein, rückt ihm die Öffentlichkeit bei jeder Gelegenheit zu Recht auf die Pelle? Und trifft ein Berufsfußballer nur deshalb das Tor nicht, weil er gelegentlich macht, was alle jungen Menschen mal tun? Ja, klar. Es gibt Grenzen. In eine Hotelhalle zu pinkeln ist nicht der feine englische Stil.

Aber meine Güte, nach allem, was man weiß, hat Jogi Löw als Trainer beim VfB Stuttgart auch nicht nur aus der Bibel zitiert. Und es soll schon Präsidenten gegeben haben, die Siegesfeiern entscheidend bereichert haben. „Boss“ Helmut Rahn, der Held von Bern, beendete seine Karriere erst nach einer Trunkenheitsfahrt in die Baugrube. Der frühere VfB-Stürmer Rolf Geiger bediente sich an einer Pulle schottischen Whiskeys, als Sepp Herberger unangemeldet ins Zimmer trat. Dumm gelaufen. Nach einer harten Nacht nutzte er im damaligen Europacup, dem Messepokal, geschickt den dichten Nebel im Neckarstadion für ein Päuschen. Er setzte sich an der Eckfahne auf den Ball, den minutenlang alle suchten. Und sind nicht die WM-Helden um Franz Beckenbauer 1974 in Malente immer mal ausgebüxt? Bundestrainer Helmut Schön bekam ob der Disziplinlosigkeit einen nervösen Magen und verlangte Milch vor jedem Spiel. Weltmeister geworden sind sie trotzdem. Weil die Eskapaden niemand auf dem Handy für die Ewigkeit festgehalten hat, erzählen die Silberfüchse die Story bis heute immer wieder gern. Und immer ein bisschen anders.

Und wie war das noch, als Arie Haan am Schmotzigen Donnerstag seinen Mittelstürmer morgens um vier an der Bar in Neuhausen erwischte? Kein Wort hat er darüber verloren. Fritz Walter spielte am Samstag zu seinem eigenen Erstaunen trotzdem – und schoss drei Tore. Am Sonntag früh winkte der VfB-Coach den stillen Zecher ins Büro: „Fritz, falls ich dich nächstes Jahr erwisch’, dass du bei der Weiberfastnacht nicht wieder dabei bist, setz ich dich auf die Bank.“

„Ist mir doch egal“, pflegte Felix Magath zu antworten, wenn ihm wieder mal zugetragen wurde, dass Kevin Kuranyi in Stuttgart angeblich ganze Kneipenviertel saniert. „Er war ein bisschen bleich heute Morgen im Training, aber die Leistung hat gestimmt.“ Als der kulturbeflissene Coach seine Mannschaft zu einer Führung in die Staatsgalerie bat, fragte einer seiner Spieler, ob er den Claude Monet an der Wand auch kaufen könne. Youtube war zum Glück noch nicht erfunden.

Es war eben so, dass die Menschen ihr Schnitzel noch aßen und nicht erst posteten. Und mit dem Handy bewaffnet auf die Jagd nach Prominenten zu gehen, wäre ihnen wohl auch nicht in den Sinn gekommen. Außerdem konnten die Menschen damals noch etwas für sich behalten. Zum Beispiel den nächtlichen Ausflug einer VfB-Mannschaft vor einem Pokalspiel bei Werder Bremen. Trainer Willi Entenmann wachte in der Hotel-Lobby eisern darüber, dass keiner seiner Helden unerlaubt über die Schwelle trat. Auf der rückwärtigen Feuerleiter herrschte währenddessen reger Betrieb. Das Spiel am Tag darauf ging natürlich verloren – aber das wurde nie ausgiebig diskutiert. Die Sonne ging weiter im Osten auf. Und irgendwann wurden Facebook und Twitter erfunden.