Die 11-jährige Chinara hat schon von klein auf Erfahrung mit Rassismus gemacht. Foto: privat/Astrid Okafor

Chinara hat dunkle Hautfarbe. Die 11-Jährige freut sich, dass nun auch viele Deutsche dank der Black-lives-matter-Demos genauer auf das Thema Rassismus schauen. Reichlich spät findet sie allerdings, denn schon im Kindergarten musste sie sich schlimme Sprüche gefallen lassen.

Stuttgart - Einige Eltern werden sich in den vergangenen Wochen plötzlich auf einer Black-Lives-matter-Demo wiedergefunden haben. Seit dem Tod von George Floyd treibt das Thema Rassismus vor allem auch Kinder und Jugendliche um und auf die Straße. Doch wie ist es eigentlich hier im Land mit dunkler Hautfarbe aufzuwachsen? Das wollte Nadia Köhler, die Leiterin der Kinderzeitung von der 11-jährigen Chinara Okafor wissen. Sie ist in Deutschland geboren, lebt in Filderstadt, geht in die fünfte Klasse der Realschule in Bonlanden und steht für die Juniorinnen des TSV Bernhausen im Tor. Ihr Vater ist Nigerianer, ihre Mutter Deutsche.

Chinara, seit dem Tod von George Floyd interessieren sich viele Kinder und Jugendliche für die Black- lives-matter-Bewegung. Tausende gehen auch hier in Stuttgart auf die Straße. Ist für dich das Thema Rassismus nun auch wichtiger geworden?

Nein, mich beschäftigt das Thema Rassismus schon, seitdem ich in die zweite Klasse gekommen bin. Denn da haben plötzlich manche Kinder Wörter benutzt, die ich davor noch nie gehört hatte. Dann habe ich mich bei meinen Eltern und meinem Bruder erkundigt, was diese Wörter eigentlich heißen und warum man das sagt. Als ich dann herausgefunden habe, was die Geschichte hinter diesen Wörtern ist, war ich echt sauer und entsetzt.

Was für Wörter waren das?

Nigger und zwei, drei andere. Ich wollte dann herausfinden, woher diese Wörter kommen und was dahintersteckt. Danach konnte ich den Kindern sagen, dass sie aufhören sollen ständig mit dem Wort Nigger um sich zu werfen, weil das echt eine Beleidigung ist. Ich habe dann auch einem anderen braunen Jungen in meiner Klasse, der sich diese Wörter gefallen hat lassen, gesagt was das eigentlich bedeutet. Er dachte „Nigger“ heißt so etwas wie „Bro“, also etwas, was man unter Freund öfter mal benutzt.

Ist dir damals in der Grundschule zum ersten Mal bewusst geworden, dass du eine andere Hautfarbe hast als die meisten anderen um dich herum?

Nein, im Kindergarten haben schon sehr dumme Kinder zu mir gesagt, dass ich aussehe wie Kacka. Schon da habe ich mich gefragt: „Was soll das? Ich habe zwar eine andere Hautfarbe, aber ich bin doch auch ein Mensch!“ Da ist mir klar geworden, dass mich andere Kinder anders sehen als sich selbst.

Bist du die einzige mit dunkler Hautfarbe in deiner Klasse?

Ja. In der Parallelklasse gibt es noch einen anderen Jungen.

Würdest du dir wünschen, das wäre anders?

Es ist mir eigentlich relativ egal. Aber manchmal hätte ich schon noch gerne eine andere Person, die so ist wie ich. Manchmal ist es wirklich blöd die einzige zu sein.

Wann?

Einmal ist ein neues Mädchen in unsere Klasse gekommen. Sie hat sich umgeschaut und gelacht. Dann hat sie mich gesehen, mir in die Augen geschaut und nicht mehr gelacht. Da wurde mir ganz komisch. Ich war sehr enttäuscht und entsetzt, dass man mich nicht einfach so sieht wie die anderen.

Wird es leichter für dich, je älter du und die anderen Kinder werden?

Ja, es ist jetzt, seitdem ich in der weiterführenden Schule bin, auf alle Fälle besser geworden. Manche Kinder hatten von Anfang an etwas Angst vor mir, weil ich 11 Jahre alt und 1,70 Meter groß bin. Außerdem habe ich mich vom ersten Tag an gewehrt und gezeigt, dass ich mir Rassismus nicht gefallen lassen. Ich habe gesagt, das bestimmte Sprüche und Wörter kein Witz sind. Ich bin ein sehr emotionaler Mensch und wenn ich dann geweint habe oder sauer und laut geworden bin, haben die anderen schnell gemerkt, dass sie meine Grenzen überschritten haben. Aber ich hätte nie jemanden verkloppt. Es gibt zwar immer noch ein paar Idioten, die denken, es wäre cool mich zu beleidigen, aber das sind nur noch wenige. Aber inzwischen habe ich viele Freunde, die zu mir halten und sich immer für mich einsetzen. Das hilft mir sehr, dann fühle ich mich nicht so allein.

Helfen dir nicht auch die Lehrer?

In der Grundschule haben mir die Lehrer oft gesagt, dass die anderen, das bestimmt nicht ernst meinen und bestimmte Sprüche nur zum Spaß gesagt hätten. Aber ich wusste, dass das nicht stimmt, denn die Kinder haben das nicht in einer spaßigen Tonlage zu mir gesagt. Die Lehrer haben mir da einfach nicht vertraut. Eine Lehrerin, die aus einem anderen Land kam und dafür früher gehänselt wurde, hat mich ernst genommen und direkt mit den Kindern geredet. Das war ein positives Beispiel.

Haben dir dein Vater und deine Mutter Tipps gegeben?

Ja, ich konnte mit meiner Mutter immer darüber reden, was mir passiert ist. Sie hat mir den Tipp gegeben, die Hänseleien zu ignorieren, weil die anderen so merken, dass es mich nicht interessiert und dann damit aufhören. Und beide haben mich ermutigt, mit den Lehrern zu sprechen.

Hast du Tipps für andere Kinder und Jugendliche, die sich dir gegenüber richtig verhalten wollen? Was können sie vermeiden, um dir nicht unbeabsichtigt rassistisch zu begegnen?

Ich mag es gar nicht, wenn jemand sagt: „Die Schwarze, da!“ Ich bin braun und nicht schwarz. Schwarz ist vielleicht mein T-Shirt, aber nicht meine Hautfarbe. Sie sollen mich einfach bei meinem Namen nennen: Chinara. Und es nervt mich ein bisschen, wenn ich anders als meine weißen Freundinnen immer gefragt werde: „Aus welchem Land kommst du eigentlich?“ Ach, ja und bitte fragt mich nicht: „Darf ich deine Haare anfassen?“

Begegnet dir Rassismus auch außerhalb der Schule?

Selten. Nur manchmal, wenn ich etwas einkaufe, dann mustern mich manche Leute und ich merke, dass sie sich fragen: „Kann sie sich das überhaupt leisten?“ Einmal ist auch ein Mann vor mir und meinem Bruder im Laden auf Abstand gegangen – und zwar nicht wegen Corona!

Wie läuft es beim Fußball? Erfährst du da auch Anfeindungen oder Ausgrenzung?

Da ist es echt gut. Meine Mutter ist unsere Trainerin und ich habe da auch eine Freundin, die die gleiche Hautfarbe hat wie ich. Aber die ganze Mannschaft versteht sich miteinander, da ist jeder gleich, da behandelt mich niemand komisch.

Freut es dich, dass jetzt gerade viel mehr Leute auf das Thema Rassismus schauen als sonst?

Ja! Rassismus was zwar schon immer da, doch seit dem Tod von Georg Floyd erkennen nun viel mehr Leute, wie schlimm das eigentlich ist! Aber ich wundere mich schon, dass viele das erst jetzt so spät erkennen.

Schaust du zuversichtlich in deine eigene Zukunft?

Ja, ich habe keine Angst vor der Zukunft. Ich glaube, dass ich hier in Deutschland trotz meiner Hautfarbe alle Möglichkeiten habe.

Was machst du in zehn Jahren?

Ich wollte schon immer Rechtsanwältin werden. Also möchte ich einmal Jura studieren.