Die Pendlerpauschale ist eine unter Fachleuten umstrittene Subvention. Foto: /Thomas Bischof

SPD, Grüne und FDP wollen Finanzhilfen und Steuerprivilegien kappen. Ökonomen fordern mutige Schritte – und sehen ein beträchtliches Einsparpotenzial.

Berlin - Kurz vor Beginn der heißen Phase der Koalitionsverhandlungen haben führende Wirtschaftsforschungsinstitute die Ampel-Parteien aufgefordert, ihre Ankündigung wahr zu machen und tatsächlich im großen Stil Subventionen auf den Prüfstand zu stellen.

Nach Auffassung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) gehören als erstes das Diesel- und das Dienstwagenprivileg abgeschafft, außerdem die Mehrwertsteuerbefreiung internationaler Flüge, die Energiesteuerbefreiung von Kerosin sowie die Pendlerpauschale. „Dienstwagenprivileg und Pendlerpauschale kommen vor allem höheren Einkommensbeziehern zugute, sodass derartige Subventionen vor allem sozial ungerecht sind“, sagte DIW-Umweltexpertin Claudia Kemfert unserer Redaktion. Kemfert bezifferte das Volumen der genannten Steuererleichterungen auf mehr als 16 Milliarden Euro pro Jahr.

Kürzen mit dem Rasenmäher

Das Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) plädierte dafür, sämtliche Subventionen ins Visier zu nehmen – neben Steuererleichterungen auch Finanzhilfen für Branchen oder einzelne Akteure des Wirtschaftslebens. „Man muss jetzt jeden Stein umdrehen und schauen, ob da nicht ein paar Cent drunter liegen“, sagte IfW-Experte Claus-Friedrich Laaser. „Realistischerweise ist da ein zweistelliger Milliardenbetrag zu holen.“

Laaser plädierte für eine abgestufte Kürzung nach der Rasenmähermethode: Begründbare Subventionen, bei denen ein Sparpotenzial besteht, sollten einmalig um zehn Prozent gekürzt werden. Eindeutig schädliche Subventionen sollten in einem ersten Schritt um 20 Prozent vermindert werden. Zu den begründbaren Subventionen gehört nach Auffassung der Kieler Forscher etwa das Baukindergeld, zu den schädlichen, nicht zu rechtfertigenden Subventionen die ermäßigte Umsatzsteuer für Hotelübernachtungen.

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An diesem Mittwoch wollen SPD, Grüne und FDP mit der inhaltlichen Arbeit im Rahmen ihrer Koalitionsverhandlungen beginnen. Nach einem Auftakt in der vergangenen Woche treffen sich jetzt die 22 Arbeitsgruppen – etwa zu Themen wie Finanzen und Haushalt, Wirtschaft oder Klima und Energie. Der Koalitionsvertrag soll Ende November und die neue Regierung in der zweiten Dezemberwoche stehen.

Im Rahmen ihrer Sondierungen hatten die drei Parteien bereits ihre Absicht bekundet, zusätzliche Haushaltsspielräume dadurch zu gewinnen, dass sie den Bundeshaushalt „auf überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben überprüfen“. Das soll einen Beitrag dazu leisten, umfangreiche Investitionen in Klimaschutz, Infrastruktur sowie Bildung und Forschung zu ermöglichen.

Schon jetzt ist absehbar, dass nach dem Ende der Coronapandemie und der mit ihr verbundenen Neuverschuldung beträchtliche Löcher im Haushalt klaffen werden. Eine Lockerung der Schuldenbremse und Steuererhöhungen hatten die Ampel-Partner ausgeschlossen – vor allem auf Druck der FDP. Der Abbau von Subventionen könnte einer künftigen rot-grün-gelben Bundesregierung tatsächlich substanzielle Spielräume in der Finanzpolitik verschaffen. Allerdings dürfte jede Streichung oder Verminderung sofort massiven Widerstand der Betroffenen hervorrufen.

Milliarden für billigen Diesel

Besonders deutlich wird das am Beispiel des so genannten Dieselprivilegs – also des niedrigen Energiesteuersatzes auf Diesel im Vergleich zum weniger CO2-haltigen Benzin. Dem Staat gingen dadurch im Jahr 2019 rund 8,2 Milliarden Euro Einnahmen verloren, wie das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft unlängst errechnete. Ursprünglich war die Vergünstigung eingeführt worden, um das Speditionsgewerbe zu stützen. Kritiker monieren, dass diese Subvention einen umweltschädlichen Anreiz beim Mobilitätsverhalten und beim Kauf neuer Fahrzeuge setze. Fast jeder Dritte der rund 48 Millionen in Deutschland zugelassenen Pkw verfügt über einen Dieselmotor. FDP-Chef Christian Lindner machte bereits deutlich, dass er gegen höhere Steuern auf Diesel oder die Abschaffung der Pendlerpauschale ist.

Der Bund wendet jedes Jahr gigantische Milliardenbeträge für Subventionen auf. Wie groß das Subventionsvolumen in der Summe ist, hängt von der Betrachtungsweise ab: Die Bundesregierung geht in ihrem kürzlich vorgelegten Subventionsbericht davon aus, dass das Volumen von knapp 25 Milliarden Euro im Jahr 2019 auf rund 47 Milliarden Euro im Jahr 2022 steigen wird. Grund sind vor allem höhere Aufwendungen für den Klimaschutz.

Zu ganz anderen Werten kommt regelmäßig das IfW Kiel: Das Institut bezifferte in seinem Subventionsbericht 2020 die gesamtstaatlichen Subventionen jenes Jahres auf 206 Milliarden Euro. Allein der Bund wollte demnach laut Haushaltsplanung Finanzhilfen im Umfang von rund 64 Milliarden Euro gewähren. Hinzu kamen Steuervergünstigungen im Umfang von 67,5 Milliarden Euro. Die im Laufe des Jahres beschlossenen Hilfen zur Bekämpfung der Coronakrise sind dabei nicht mitgerechnet.

Im Gegensatz zur Bundesregierung bezieht das IfW bei seiner Betrachtung unter anderem auch halbstaatliche Organisationen wie die Gesetzlichen Krankenversicherer oder Kultureinrichtungen mit ein. Zudem werden Zahlungen an die Bahn und diverse Steuerbegünstigungen berücksichtigt.