Klimaaktivistin Luisa Neubauer protestiert gegen ein grünes EU-Label für Atomkraft und Gas innerhalb der sogenannten Taxonomie vor der EU-Kommission. Foto: dpa/Marek Majewsky

Das Europaparlament macht den Weg frei, Investitionen in AKW und Gaskraftwerke als nachhaltig einzustufen.

Investitionen in Gas und Atomkraft werden in der EU künftig unter bestimmten Bedingungen als klimafreundlich eingestuft. Dem Europaparlament gelang es am Mittwoch nicht, die Pläne der EU-Kommission zur sogenannten Taxonomie zu blockieren. In der entscheidenden Abstimmung votierten nur 278 Abgeordnete dafür, das grüne Siegel für Atomkraft und Gas zu stoppen. Notwendig wären 353 der 705 möglichen Stimmen gewesen. Bereits im Vorfeld des Votums hatte die konservative Europäische Volkspartei – der größte Block im Parlament – mitgeteilt, mehr als drei Viertel ihrer Mitglieder würden für die Taxonomie-Pläne stimmen. Grüne und Sozialisten hatten sich für eine Blockade ausgesprochen.

Die Gegner der Taxonomie sind enttäuscht

Die Gegner der Taxonomie zeigten sich nach der Niederlage überaus enttäuscht. „Heute ist ein trauriger Tag für die europäische Energiewende, für ein nachhaltiges Gütesiegel für die Finanzbranche und für ein Ende der Energieabhängigkeit von Russland“, erklärte der Grünen-Abgeordnete Michael Bloss, der über Monate gegen die das grüne Atom-Label mobil gemacht hatte.

Kurz vor der entscheidenden Abstimmung in Straßburg hatte der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala im Europaparlament für ein klares Ja zur Taxonomie geworben. Eine Reihe von EU-Staaten könnten ihre Verpflichtungen aus den gemeinsamen Klimazielen nur auf diese Weise erfüllen, argumentierte der liberalkonservative Politiker. Tschechien hat seit dem 1. Juli die rotierende sechsmonatige EU-Ratspräsidentschaft inne.

Keine Unabhängigkeit von russischem Gas

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine argumentierten die Gegner nicht nur mit dem Umweltschutz. Sie erklärten, dass Anreize für Investitionen in den Bau neuer Gaskraftwerke in starkem Kontrast zu den Bemühungen stehen, unabhängig von russischem Gas zu werden. Befürworter verweisen hingegen auf die Notwendigkeit von Übergangstechnologien und darauf, dass für den Betrieb von Gaskraftwerken auch Flüssiggas zum Beispiel aus den USA oder Wasserstoff genutzt werden kann.

Abgestimmt wurde am Mittwoch über einen delegierten Rechtsakt, der zur Taxonomie gehört. Sie ist ein Klassifikationssystem, das private Investitionen in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten lenken und so den Kampf gegen den Klimawandel unterstützen soll. So will die EU das Vertrauen in Öko-Finanzprodukte erhöhen. Für Firmen ist es relevant, weil es die Investitionsentscheidungen von Anlegern beeinflussen und damit zum Beispiel Auswirkungen auf Finanzierungskosten von Projekten haben könnte. Investoren sollen zudem in die Lage versetzt werden, Investitionen in klimaschädliche Wirtschaftsbereiche zu vermeiden.

Frankreich wirbt für Atomstrom

Im ersten Schritt wurden bereits im vergangenen Jahr die Bereiche definiert, die als klimafreundlich gelten. Darunter fällt etwa die Stromproduktion mit Solarpaneelen, Wasserkraft oder Windkraft. Doch vor allem auf Druck aus Frankreich und Deutschland wurde die Liste erweitert. So schlug die EU-Kommission plötzlich vor, auch Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Bedingungen als klimafreundlich einzustufen. Vor allem im Fall von Frankreich ist der Grund offensichtlich. Das Land ist vom Atomstrom abhängig und würde die eigene Technik auch gerne weiter in andere Länder exportieren will.

Allerdings steht Atomstrom auch weiter nicht auf einer Stufe mit Energie aus der Sonne. Vorgesehen sind in der Taxonomie jetzt drei Klassen von Investitionsmöglichkeiten. Die erste gilt für komplett grüne Investments etwa in Windparks, die zweite für Hilfstechnologien etwa zur Speicherung von Energie. Die dritte und umstrittene Gruppe sind Übergangsaktivitäten. Hierzu zählen Atom- und Gaskraftwerke.

Kritik auch aus der Wirtschaft

Widerstand gegen die Taxonomie kommt nicht nur von Seiten der Umweltschützer. So argumentiert der CSU-Politiker Markus Ferber, dass es am Markt „schlichtweg keinen Appetit für eine Taxonomie mit Kernenergie und Gas“ gebe. Der wirtschaftspolitische Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparlament ist sich sicher: „Das heutige Votum wird sich früher oder später als Fehler herausstellen.“ Unterstützung in seiner Argumentation erhält Markus Ferber von der deutschen Fondsbranche, die die Entscheidung kritisiert. Ein Veto des Parlaments wäre angebracht gewesen, sagte Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des Verbands BVI. Die Entscheidung sei nicht nur politisch, sondern auch wissenschaftlich umstritten.

Möglich wäre nun noch, dass die Taxonomie von den EU-Staaten ausgebremst wird. Die Umsetzung des Kommissionsvorschlags kann noch verhindert werden, wenn sich bis zum 11. Juli mindestens 20 EU-Staaten zusammenschließen, die mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertreten. Dass eine entsprechende Mehrheit im Rat der EU zustande kommt, gilt allerdings wegen des Interesses von vielen Staaten an der Nutzung von Kernkraft als ausgeschlossen. Die Gegner der Taxonomie wollen sich allerdings noch nicht geschlagen geben. Die Regierungen Österreichs und Luxemburgs haben bereits angekündigt, gegen die „grüne Atomkraft“ klagen zu wollen.