Die Bremerhavener Havenwelten: vorn das Klimahaus, der Form eines Schiffes nachgebildet, im Hintergrund das Altlantic Hotel Sail City, der Form eines Segels nachgebildet. Foto: Marcus Meyer/Klimahaus Bremerhaven

Wer gerne ins Museum geht und mehr darüber wissen will, weshalb Menschen auswandern, der könnte einen Wochenendtrip nach Bremerhaven einplanen. In keiner anderen Stadt kann man sich so vergnüglich und dabei so nachhaltig bilden.

Bremerhaven - In einer Porzellanschüssel liegen unzählige braungrau schimmernde Würmer. Starrt man nur lange genug in die Schüssel, bekommt man das Gefühl, dass sich der ein oder andere Wurm bewegt. Aber das ist nur eine Täuschung, die Mehlwürmer sind allesamt mausetot. Gleich wird sie Chefkoch Zeljko Jovankic in die schwere gusseiserne Pfanne schütten. Erst die Würmer, dann etwas Olivenöl drüber und kurz darauf verbreitet sich ein dezenter Bratenduft in der Küche. Es ist schwer zu sagen, woher das Röstaroma nun wirklich kommt: vom heißen Öl oder von den Insekten.

„Würmer haben gar keinen Eigengeschmack“, erklärt der gut gelaunte Koch und verteilt die Insekten großzügig auf die Teller. Und tatsächlich: Sie schmecken nach nichts, das Gefühl im Mund ist so, als zerbeiße man einen zarten Blätterkrokant. Der Genuss stellt sich jedoch nur zögernd ein, erst recht bei den anschließend servierten Grillen und Heuschrecken. Zu ungewohnt ist der Verzehr der kleinen Tiere mit den großen Augen. Doch diese Insekten sollen ja sehr gesund sein: nahrhaft, fettarm, reich an Proteinen. Vor allem aber sind sie klimaneutral. Das heißt, wer sie verzehrt, muss sich keine Gedanken darüber machen, wie viel CO2 dafür produziert wurde. Anders zum Beispiel als beim Rinderfilet oder der Flugmango.

Ananas statt Apfel, Mehlwurm statt Rind

Diese Lebensmittel wird man in der Eventküche des Klimahauses in Bremerhaben deshalb auch vergeblich suchen. Schließlich will man die Besucher hier unter anderem auf die Vorzüge und Vorteile klimaneutralen Essens aufmerksam machen. Deswegen gibt es Apfel statt Ananas und Mehlwurm statt Rind. Auch die Beilagen – Grünkohl, Winterlauch, Hering – kommen alle aus der Region, haben gerade Saison und sind damit ebenfalls umweltfreundlich.

Das 2009 eröffnete Klimahaus in Bremerhaven ist die einzige Wissens- und Erlebniswelt in ganz Europa, die sich dem Thema Klima widmet. Es ist zwar eine Freizeiteinrichtung, andererseits aber möchte es das Bewusstsein schärfen, dass der Klimawandel zu den größten politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen zählt. Es ist Museum, Zoo, Lernort und Eventgastronomie in einem. „Das Klimahaus will keine Horrorszenarien abbilden, es lenkt den Fokus auf die Schönheiten der Erde“, erläutert Arne Dunker, der Geschäftsführer des Klimahauses. Und es will den Besuchern nicht nur sagen: Das darfst du nicht und das darfst du nicht, sondern ihnen ohne erhobenen Zeigefinger Möglichkeiten aufzeigen, wo jeder einzelne etwas tun und verändern kann: beim Essen, beim Urlaub, beim Verkehr.

Die Hauptattraktion des imposanten Gebäudes in unmittelbarer Nähe zum Hafen ist die Weltreise durch die Klimazonen entlang des 8. Längengrades. Die Reise beginnt bei Bergbauern in der Schweiz, wo es nach Stall riecht und sich vor dem Besucher ein Gletscher auftürmt. Wer will, kann sich einen Kopfhörer nehmen und sich von den Almbewohnern Hedy und Werner erzählen lassen, was das Abschmelzen der Gletscher für Auswirkungen auf die gesamte Region hat. Über Sardinien geht es weiter nach Niger, wo man ein echtes Stück Wüste erlebt, Schwitzen und Dürsten inbegriffen. In Kamerun kann man den westafrikanischen Regenwald bei Nacht durchstreifen: In kompletter Dunkelheit läuft man über den weichen, unebenen Boden, stößt immer mal wieder gegen einen Baum, riecht die feuchte Luft und hört laute und leise Tierstimmen. Das Packeis der Antarktis bietet bei minus sechs Grad Abkühlung, bevor es nach Samoa geht, für viele der Inbegriff vom Paradies. Wie sehr gerade dieser Südseestaat durch den ansteigenden Meeresspiegel bedroht ist, kann der Besucher an dieser Station mit echtem Meerwasser, Sand und Strand eindrücklich erfahren.

Klimaforschung an der Küste

Warum wurde das Klimahaus ausgerechnet in Bremerhaven errichtet? Dunker erzählt, dass die Stadt vor einigen Jahren über die Stärkung der (touristischen) Infrastruktur nachgedacht habe: Was könnte hier entstehen? Rasch kam man auf die Idee, Bremerhaven zur Klimastadt zu machen. „An der Nordseeküste sind Klimaphänomene besonders eindrucksvoll zu erleben. Zudem ist hier das Alfred-Wegener-Institut (Awi) für Polar- und Meeresforschung ansässig, eine der führenden Einrichtungen der internationalen Klimaforschung“, erklärt Dunker. Das renommierte Institut ist nicht weit vom Klimahaus entfernt: Trockenen Fußes, weil der Weg dorthin vollständig überdacht ist, erreicht man das altehrwürdige Backsteingebäude in wenigen Minuten. Die beiden Einrichtungen arbeiten eng zusammen, sind ständig im Gespräch miteinander. Das Awi ist jedoch nicht öffentlich: im Prinzip. Das wird aber zunehmend aufgeweicht, zu relevant sind die Forschungsgegenstände des Instituts mittlerweile geworden, zu häufig rufen Touristen an und fragen nach Führungen. Das Awi mutet teilweise eh schon an wie ein Museum: Gleich im Eingangsbereich gibt es Modelle der Forschungsschiffe zu sehen, auch der berühmte Eisbrecher „Polarstern“ ist darunter.

Überall im Haus befinden sich Schaukästen und Landkarten, Broschüren und Infomaterial zu aktuellen Themen wie Plastik im Meer liegen aus und sind auch für Nicht-Wissenschaftlicher verständlich. „Wir planen, für das neue Jahre öffentliche Führungen anzubieten“, berichtet Folke Mehrtens, Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit.

Die Geschichte der Ein- und Auswanderer

Damit wäre Bremerhaven wieder einmal mehr ganz vorn dabei, wenn es darum geht, auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren. Das 2005 eröffnete Deutsche Auswanderermuseum, das ebenfalls zu den Hafenwelten gehört, hat seinen Ausstellungsbereich erst kürzlich erweitert, und zwar mit der Lebensgeschichte einer kurdischen Familie, die 2014 aus Syrien nach Deutschland geflohen ist. Das Museum zeigt, dass Deutschland immer schon von Ein- und Auswanderung geprägt war: Zwischen 1830 und 1974 emigrierten allein über Bremerhaven 7,2 Millionen Menschen.

Das Haus war ursprünglich als reines Migrationsmuseum angelegt, 2012 erfolgte der Erweiterungsbau zu 300 Jahren Einwanderungsgeschichte. Ganz unterschiedliche Lebensgeschichten werden da erzählt: Fotos, Filme, Erinnerungsstücke werfen die spannende Frage, auf, wo die Unterschiede sind zwischen Flüchtlingen, Auswanderern, Gastarbeitern und wo ihre Gemeinsamkeiten liegen.

Verlässt man dann das beeindruckende Museum und läuft Richtung Wasser, kommt man am Willy-Brandt-Platz vorbei, wo man auf das mannshohe Auswandererdenkmal stößt. Der Vater weist verheißungsvoll mit einem Arm zu dem gelobten Land über den großen Teich, die Mutter, die Kinder schützend in ihrer Obhut, sieht wehmütig-sorgenvoll zurück. Auch hier beeindruckt wieder die Synthese von Geschichte und Gegenwart. Wer sich also in Deutschland auf engstem Raum, aber auf höchstem Niveau über Vergangenheit und Zukunft informieren will, der kommt an Bremerhaven nicht vorbei.

Hinkommen, Unterkommen, Rumkommen

Anreise

on Stuttgart direkt mit Lufthansa und Eurowings nach Bremen, dann weiter mit dem Zug nach Bremerhaven. Mit dem Zug über Hannover oder Dortmund nach Bremen, weiter nach Bremerhaven.

Unterkunft

Einen gigantischen Blick über den Weserdeich und die Hafenwelten hat man vom Altlantic Hotel Sail City (www.atlantic-hotels.de/hotel-sail-city-bremerhaven/). Das Vier-Sterne-Hotel ist nordisch-elegant eingerichtet und hat sich dem Klimaschutz verschrieben: Die (Bio-)Produkte kommen aus der Region. DZ ab 99 Euro. Die Aussichtsplattform auf dem Dach des Hauses in 86 Meter Höhe ist öffentlich und kostet 3 Euro Eintritt. Vom Hotel Im-Jaich hat man durch bodentiefe Panoramafenster einen herrlichen Blick auf Deich und Hafen. DZ ab 104 Euro.

Essen und Trinken

In der „letzten Kneipe vor New York“ am alten Bananenpier bekommt man typisch norddeutsche Gerichte wie Labskaus oder Krabbenpfanne: www. treffpunktkaiserhafen.de Im Pier 6 am Kai gibt es gehobene regionale Küche. www.restaurant-pier6.de

Museen

www.klimahaus-bremerhaven.de , Familienkarte 45 Euro. www.dah-bremerhaven.de, Familienkarte 38 Euro.

Was Sie lassen sollten

Bitte nie fragen: Wo ist denn jetzt die Nordsee? Bremerhaven liegt an der Weser und auch wenn es Ebbe und Flut gibt: Die offene See beginnt erst nach einigen Kilometern.