„Wir sind hier, wir sind laut, weil Ihr uns die Zukunft klaut“, skandiert der Demozug unter anderem. Foto: Simon Granville

Am Klima-Aktionstag am Freitagnachmittag in Ludwigsburg beteiligen sich fast 2000 Menschen. Zu den Veranstaltern gehören auch die Teachers for Future mit ihrer neuen Bundesvorsitzenden Nora Oehmichen aus Asperg.

Ludwigsburg - Freitag, früher Nachmittag, Rathausplatz Ludwigsburg: aus allen Richtungen strömen Menschen zum sogenannten Klima-Aktionstag. Um 14 Uhr soll der Demonstrationszug durch die Innenstadt starten. Wie in gut 400 anderen Städten überall in der Republik wollen die Veranstalter kurz vor der Bundestagswahl am kommenden Sonntag die Bürger aufrütteln und auffordern mitzumachen beim massiven Einsparen von Kohlendioxid.

Mitten in der Menschenmenge steht Nora Oehmichen. Die Gymnasiallehrerin aus Asperg ist die Co-Bundesvorsitzende des in diesem Sommer gegründeten Vereins Teachers for Future. An diesem Freitag ist Oehmichen, 47 Jahre, dreifache Mutter, die Veranstaltungsleiterin. „Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, dass an Schulen Nachhaltigkeit zum neuen Normal wird“, erklärt sie. Später, bei der Abschlusskundgebung, wird Oehmichen eine Rede halten.

Tochter hat ihre Mutter zur Klimabewegung gebracht

Kurz vor Demo-Beginn erzählt die Geschichte-, Französisch- und Ethiklehrerin, sie sei über ihre heute 18-jährige Tochter zur Klimabewegung gekommen. Die Tochter habe sie im Frühjahr 2019 zu einer großen Demo von Fridays for Future (FFF) in Stuttgart geschleppt. Das, sagt sie, „ist für mich die Initialzündung gewesen“. Oehmichen, die mit diesem Schuljahr in ein Sabbatjahr gestartet ist, hat bereits die Ludwigsburger Gruppe von Parents for Future gegründet. Bei der jüngsten Landtagswahl hat sie für die Klimaliste kandidiert.

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14 Uhr. Die Veranstaltung beginnt. Ordner bitten alle Leute Maske zu tragen und Corona-Abstand zu halten, was nahezu alle fast immer befolgen. Viele Schülerinnen und Schüler, Männer und Frauen tragen Plakate, auf denen zum Beispiel zu lesen ist: „Jetzt handeln“, „Ihr sägt an dem Ast, auf dem wir alle sitzen“ und „Stadtbahn Ludwigsburg – klimafreundlich durch Stadt und Kreis“. Später wird ein Sprecher der Veranstalter die Teilnehmerzahl auf knapp 2000 schätzen, angemeldet waren lediglich 1000. Auch ein Sprecher der Polizei wird die Zahl auf etwa 2000 schätzen.

Manchen Passanten missfällt die Kundgebung

Der Protestmarsch führt über die Mathilden- und Wilhelmstraße hinein in die Fußgängerzone und zum Marktplatz. Ohrenbetäubend laute Musik und Sprechgesänge sorgen für ordentlich Aufmerksamkeit: „Hoch mit dem Klimaschutz, runter mit der Kohle.“ Und immer wieder: „Wir sind hier, wir sind laut, weil Ihr uns die Zukunft klaut.“

Zufallsbegegnungen am Rande der Strecke: viele Menschen bleiben stehen und staunen. Manche Autofahrer ärgern sich, weil die Straßen an diesem Nachmittag länger dicht sind. Und ein paar ältere Männer echauffieren sich. Einer hält sich demonstrativ die Ohren zu. Einer schimpft, es fällt das Wort „Klimadiktatur“. Und einer fläzt auf einem Stuhl eines Bistros in der Sonne und guckt grimmig-abfällig in Richtung Demo.

Deutschland soll als Vorbild vorne mit dabei sein

Bei der Kundgebung auf dem Marktplatz erinnert eine Rednerin daran, dass viele Wissenschaftler bereits 1995 gewarnt hätten: der CO2-Ausstoß müsse massiv verringert werden. Damals, sagt sie, „war ich noch gar nicht geboren“. Die Politiker der Regierungsparteien verstießen mit ihrer Klimapolitik gegen das Grundgesetz. Die neue Regierung, die jetzt am Wochenende gewählt werde, müsse unbedingt dafür sorgen, dass die Temperaturen nur um maximal 1,5 Grad ansteigen. Die Forderungen: mehr ÖPNV und ein massiver Ausbau der erneuerbaren Energien, denn die Welt stehe „kurz vor dem Point of no Return“. Dann die Aufforderung: „Wählt am Sonntag so klimagerecht wie möglich.“ Ein Vertreter der Scientists for Future spricht von extremen Hitzewellen, von Dürren, von Starkregen und vom steigenden Meeresspiegel. Das alles drohe, wenn nicht ganz schnell gehandelt werde. Es gelte, weltweit den CO2-Ausstoß so rasch wie möglich auf Null zu bringen. „Alle müssen mitmachen, und Deutschland ganz besonders.“

Das Vertrauen in die Politik ist geschwunden

Bei der Abschlusskundgebung auf dem Rathaushof spricht dann Nora Oehmichen, die neue Bundesvorsitzende von Teachers for Future. Alle Lehrer, sagt sie, seien dafür verantwortlich, dass ihre Schüler überzeugt würden „von der Dringlichkeit des Handelns“, dass nur noch wenige Jahre blieben, um die Klimakatastrophe zu stoppen. Beamte, sagt sie augenzwinkernd, hätten mitunter zu viel Vertrauen in ihren Arbeitgeber und in die Politiker. Aber Vertrauen in die Politik „habe ich nicht mehr“.

Aus ihrer Sicht ist es erforderlich, das gesamte Schulsystem umzubauen, denn zurzeit verhindere Schule „echtes Lernen“. Sie sei keinesfalls eine Revoluzzerin, wolle aber, dass Kinder und Jugendliche an den Schulen mehr Handlungs- und Gestaltungskompetenz vermittelt bekommen. Mit Blick auf die unerwartet vielen Teilnehmer an der Demo und an den zwei Kundgebungen sagt sie: „Wir freuen uns.“

Für einen Paradigmenwechsel ziehen viele an einem Strang

Initiative
Zu dem Aktionsbündnis, das die Demonstration am Freitag in Ludwigsburg organisiert hat, gehören außer Teachers for Future und FFF, Campus For Future Ludwigsburg, die Organisation Ludwigs-Klima, die Bürgerinitiative Antiatom Ludwigsburg, Attac, die Naturfreunde Ludwigsburg und auch die IG Metall Ludwigsburg.

Vernetzung
Der Verein Teachers for Future arbeitet bundesweit eng mit der Initiative Students For Future zusammen, die sich ebenfalls für eine Transformation des Bildungssystems – nicht nur an Schulen, sondern auch an Universitäten – stark macht, etwa mit dem zweimal jährlich stattfindenden Bildungsformat „Public Climate School“.

Herausforderung
Die künftige Bundesregierung stehe vor der großen Herausforderung, alle Bürgerinnen und Bürger auf dem Transformationsprozess hin zum klimaneutralen Leben mitzunehmen, so Teachers for Future. Den Lehrkräften komme in diesem Prozess „eine Schlüsselrolle zu“.