Bei Lehrerin F. Ludin ließen die Richter 2003 zunächst ein Kopftuchverbot zu Foto: dpa

Kopftuch und kein Ende: Nach der Klage zweier Lehrerinnen liegt in Karlsruhe nun auch die Klage einer Erzieherin. Auf die Bitte um Stellungnahme reagiert der Landtag jedoch mit Schweigen, denn die Schulrechtsreform liegt auf Eis.

Stuttgart - Als eine ihrer ersten Aufgaben wird die neue Landesregierung im Frühjahr einen verfassungsgemäßen Rahmen für kopftuchtragende Lehrerinnen und Erzieherinnen zimmern müssen. Denn auch fast ein Jahr nachdem das Bundesverfassungsgericht das in mehreren Ländern geltende Kopftuchverbot gekippt hat, fehlt in Baden-Württemberg noch immer eine landesgesetzliche Antwort darauf.

Der Hauptgrund liegt darin, dass sich die Fraktionen nicht einigen können. Zwar hat die grün-rote Koalition, die eine Reform gern im Konsens erreichen will, bereits im Juli ein neues Schulgesetz vorgelegt: Darin ist der beanstandete Kopftuch-Paragraf 38 („keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußeren Bekundungen“) einfach gestrichen. Die pauschale Vorschrift, wonach Lehrkräfte kein Kopftuch tragen dürfen, entfällt.

Doch diesen „Schnellschuss“ trug die Opposition nicht mit. CDU und FDP wollten sich erst Rat von Experten holen. Auch die Kirchen übten Kritik. Das von Grün-Rot geplante ersatzlose Streichen einzelner Passagen berge „die Gefahr einer laizistischen Fehldeutung“, lautete der gemeinsame Einwand der Erzdiözese Freiburg, der Diözese Rottenburg-Stuttgart sowie der beiden evangelischen Landeskirchen. Mit anderen Worten: Schulen und Kitas sollen kein völlig religionsfreier Raum werden.

Bis zur Wahl wird nicht mit einem Gutachten gerechnet

Grüne und SPD verschoben daraufhin die Reform. Die umfangreichen Vorschläge der Kirchen bedürften einer sorgfältigen Prüfung, hieß es. Ein Verfassungsrechtler sollte mit einem Gutachten zu dieser komplexen Frage beauftragt werden.

Doch geschehen ist bisher nicht viel. In der Grünen-Fraktion heißt es, da bis zur Landtagswahl mit diesem Gutachten nicht mehr zu rechnen sei, habe man die Sache an das Kultusministerium verwiesen. Dort wiederum sieht man die Federführung bei den Fraktionen im Landtag.

CDU-Bildungsexperte Georg Wacker hat für diese Verzögerung kein Verständnis. „Das Bundesverfassungsgericht hat doch seine Rechtsauffassung formuliert, wozu braucht es da noch ein Gutachten?“, fragt er. Da der Landtag also bis heute keine einhellige Meinung in dieser Frage hat, ließ er kürzlich die Gelegenheit verstreichen, zu einem anderen brisanten Fall Stellung zu nehmen. Die Karlsruher Richter hatten explizit um ein Statement zu einer Verfassungsbeschwerde gebeten, die eine muslimische Erzieherin derzeit führt. Die Frau ist bei einer kommunalen Kita angestellt und wurde abgemahnt, als sie sich dazu entschloss, aus religiösen Gründen ein Kopftuch zu tragen. Das, so ihr Argument, sei ein unzulässiger Eingriff in das Grundrecht auf Religionsfreiheit.

Kopftücher gehören längst zum Alltag in Schulen und Kitas

Der Fall weist Parallelen zur Klage der beiden Lehrerinnen aus Nordrhein-Westfalen auf, die sich Anfang 2015 das Recht erstritten hatten, im Unterricht ein Kopftuch zu tragen. Dieses „Kopftuchurteil“ hat zur Folge, dass Baden-Württemberg nicht nur sein Schulgesetz ändern muss, sondern auch das Kindertagesbetreuungsgesetz: Denn in Betreuungseinrichtungen gelten ähnliche Bekleidungsvorschriften.

In der Praxis wirken sich diese allerdings kaum mehr aus. Wie viele Lehrerinnen und Erzieherinnen aktuell ein Kopftuch bei ihrer Arbeit tragen, lässt sich derzeit zwar nicht beziffern. „Das ist bei der Einstellung ja kein Kriterium und wird deshalb nicht abgefragt“, sagt der Sprecher des Kultusministeriums, Michael Hermann. Doch dass Kopftücher mittlerweile zum Schul- und Kita-Alltag gehören, ist vielerorts zu besichtigen.

Störung des Schulfriedens könnte Kopftuch-Verbot rechtfertigen

Schon im Mai hatte das Kultusministerium die Regierungspräsidien und die kommunalen Landesverbände darauf aufmerksam gemacht, dass der Richterspruch auch ohne Änderung von Landesgesetzen Auswirkungen habe. „Dieses bedeutet, dass das Tragen eines Kopftuchs an sich grundsätzlich weder ein Hinderungsgrund für die Einstellung noch für die Ausübung der Tätigkeit einer Lehrerin an einer öffentlichen Schule ist“, heißt es in einem Schreiben der Behörde. „Es gibt zwar noch kein reformiertes Schulgesetz, doch es besteht deshalb kein rechtsfreier Raum“, betont Hermann. Die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts gebe einen hinreichend konkreten administrativen Rahmen vor.

Lediglich eine Störung des Schulfriedens könnte ein Verbot von Kopftüchern noch rechtfertigen. Doch solche Vorfälle wurden bisher nirgendwo bekannt. Das gilt auch für Kitas. „Als Arbeitgeber fällt es Städten und Gemeinden zunehmend schwer, fachlich qualifizierte und charakterlich geeignet erscheinende Bewerberinnen abzuweisen, nur weil sie ein Kopftuch tragen wollen“, gab der Gemeindetag zu Protokoll.