Pfarrer Florian Link am Turmeingang. Links neben der Tür ist die kleine Klingel. Auf dem Türsturz über dem Eingang ist das Baujahr zu erkennen. Foto: Julia Barnerßoi

In der neuen Serie „Himmelwärts“ stellen wir Bad Cannstatts Kirchtürme vor, die teil nicht unterschiedlicher sein könnten. Den Anfang mach die evangelische Stadtkirche. Ihr Turm verbirgt noch einen zweiten im Inneren.

Bad Cannstatt - Ganz klein, besonders hoch, ganz spitz, mit Beleuchtung, Fenstern, Glocken oder ohne – die Türme der Kirchen in Bad Cannstatt könnten unterschiedlicher nicht sein. Grund genug, sie einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. In den kommenden Monaten stellen wir in der Kolumne „Himmelwärts“ alle Türme in Stuttgarts größtem Stadtbezirk vor.

Die Stadtkirche

Den Anfang macht die Stadtkirche. Am Eingang des Turms entdeckt der aufmerksame Spaziergänger eine kleine weiße Klingel. Sie funktioniert, sagt Pfarrer Florian Link. Allerdings wird der Einlass Suchende vergeblich läuten; die Turmstube wird außer zu wenigen Anlässen nicht mehr genutzt. Früher traf sich hoch oben über den Dächern Cannstatts unter anderem der Männerkreis der Gemeinde. Bis ein verspätetes Mitglied Einlass bekam, konnte es jedoch auch etwas dauern, erzählt der Pfarrer. Immerhin musste dann einer der Männer die rund 180 engen Stufen wieder hinab, um dem Verspäteten die Tür zu öffnen. Der mühsame Auf- beziehungsweise Abstieg ist auch der Grund, warum die Turmstube irgendwann nicht mehr als Treffpunkt genutzt wurde, erzählt Florian Link. Es war zu gefährlich – besonders, wenn zuvor das eine oder andere Viertele getrunken wurde.

Beim Aufstieg wird schnell klar, was gemeint ist und warum der Turm nicht für die Öffentlichkeit zugänglich ist. An der einen oder anderen Stelle wird es richtig eng und wackelig. Doch die Mühe lohnt sich. Es geht vorbei an den fünf imposanten Glocken, mit deren Tönen das Lied „Christ ist erstanden“ gebildet werden kann. Durch ein kleines Fenster erkennt Florian Link, dass es sich eine freche Taube im Nest des Turmfalken bequem gemacht hat. Oben angekommen entlohnt vor allem die großartige Aussicht: Das Stadion, der Neckar, die Weinberge, die Dächer der Altstadt.

Gothische Kirche mit Renaissance-Turm

Der Turm der Stadtkirche ist jünger als das Kirchenschiff. Es wurde 1471 eingeweiht, der Turm 1613. Wer von außen genau hinguckt, erkennt an der Turmfassade einen Übergang von verwitterten zu deutlich besser erhaltenen Steinen. Dort beginnt der neue Renaissance-Turm von Baumeister Heinrich Schickardt auf dem Sockel der spätgotischen Kirche. „Viele wissen gar nicht, dass hier zwei so völlig unterschiedliche Stile aufeinanderprallen“, sagt Pfarrer Florian Link.

Genau genommen ist der Turm übrigens zwei Türme in einem. Im Inneren des Steinbauwerks ist ein zweiter Turm aus schweren Holzbalken. Er trägt die tonnenschweren Glocken und leitet deren Schwingungen ab. Wer nun Lust bekommen hat, die Spitze der Stadtkirche einmal selbst zu erklimmen, muss nicht verzagen. Dreimal im Jahr gibt es noch Führungen für die Öffentlichkeit – an Pfingsten, Erntedank und zum Niklasmarkt.