Das Dreiklanggeläut für die Petruskirche auf einem Foto von 1908. Foto: Ines Rudel

Der Band 39 der Schriftenreihe des Stadtarchivs Kirchheim beschäftigt sich mit der Geschichte des Teilorts Jesingen. Vor 1250 Jahren war der Ort erstmals schriftlich erwähnt worden.

Kirchheim - Sulman und Hildrich, so ist es im „Codex Laureshamensis“ niedergeschrieben, haben im Jahr 769 die heute zu Kirchheim eingemeindete Ortschaft Jesingen „im Gau der Alemannen im Neckargau“ verschenkt. Sie solle mitsamt „was wir dort haben und elf Leibeigene“ in den Besitz des Klosters Lorsch übergehen. Mehr noch: „Wir wollen, dass diese Schenkung auf ewig sei und wir bekräftigen sie mit entschlossenstem Willen“ haben die Brüder schriftlich festhalten lassen. Aus dem mittelalterlichen Dokument lassen sich für die Gegenwart zwei Dinge ableiten.

Erstens: Jesingen hat, dank Sulman und Hildrich, einen Grund zum Feiern. Sie haben dafür gesorgt, dass der Flecken vor 1250 Jahren zum ersten Mal schriftlich erwähnt worden ist.

Zweitens: Die Ewigkeit währt genau 135 Jahre. Schon im Jahr 904 gelangte der „auf ewig“ verschenkte Jesinger Besitz im Rahmen eines Tauschhandels in die Hand eines weltlichen Besitzers, eines gewissen Ruotpert, der in der Geschichtsschreibung ein weitgehend unbekanntes Blatt gewesen sein muss.

Den Staub der Geschichte beiseite geblasen

Das Stadtarchiv von Kirchheim hat die erste schriftliche Erwähnung von „Uosinga“, so die damalige Schreibweise des Fleckens, zum Anlass genommen, um den Band 39 seiner Schriftenreihe der Jesinger Ortsgeschichte zu widmen. „Jesingen im Wandel“ heißt das Werk, auf dessen 500 Seiten die Autoren und Fotografen den Staub der Geschichte so gründlich zur Seite geblasen haben, dass darunter nicht nur ein informatives, sondern auch ein buntes, gleichermaßen lesens- und anschauenswertes Kaleidoskop zum Vorschein gekommen ist. Gleichzeitig verspricht das gewichtige Buch – vor allem in seinem historischen Teil – den Leserinnen und Lesern einen Erkenntnisgewinn, der über die Gemeindegrenzen von Jesingen und die Stadtgrenzen von Kirchheim hinaus weist.

Der Esslinger Kreisarchivar Manfred Waßner, die Historikerinnen Rosemarie Reichelt und Sabine Widmer-Butz, die Bibliothekarin Renate Schattel und der Leiter des Kirchheimer Stadtarchivs, Frank Bauer, haben eine Arbeit vorgelegt, die einerseits allen wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, andererseits aber auch den Gang durch die Jesinger Geschichte zu einem vergnüglichen Leseabenteuer macht – von den Anfängen über die Reformation und das Ende des Herzogtums Württemberg, die Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus bis in die Gegenwart.

Im Dreißigjährigen Krieg hat Jesingen einen hohen Blutzoll gezahlt

In der Gegenwart zeichnet sich der im Jahr 1974 nach Kirchheim eingemeindete Teilort nach Einschätzung von Christopher Flick, dem Ortsvorsteher, durch ein eigenständiges, kulturelles und gesellschaftliches Leben aus. Dass dieses Dorfleben im Dreißigjährigen Krieg beinahe ein jähes Ende gefunden hat, hat ebenfalls etwas mit der Nachbarschaft zu Kirchheim zu tun. Weil der Kirchheimer Obervogt, Michael von Grien, im Jahr 1643 die Stadttore schließen ließ und die bayrischen Truppen von der Einquartierung in der Innenstadt abhielt, hielten sich die Soldaten in den Dörfern vor der Stadtmauer schadlos – mit schrecklichen Folgen. „21 Gebäu, Häuß und Scheuren neben der Mühlen allhier verbrannt und abgebrochen, nicht weniger die Kanzel und der Altar in der Kirch geplündert, die Stuehl auch verbrannt, sonsten alles Schreinwerk und anders verheert und verderbt, auch an die 1500 guth fruchtbare Böhm umgehauen. . .“,  so liest sich die Bilanz des Schreckens. Ganz abgesehen vom Bevölkerungsverlust. Im Verlauf des von 1618 bis 1648 andauernden Schlachtens verlor Jesingen 75 Prozent der Bevölkerung – Kirchheim gerade mal 35,5 Prozent.

Einen im Laufe der Jahrhunderte erlittenen materiellen Verlust haben die Jesinger dagegen weitgehend kompensiert. Das 1577 errichtete Rathaus, dessen Erd- und Obergeschoss im 19. Jahrhundert weitgehend erneuert worden war, ist im Jahr 2014 der Abrissbirne zum Opfer gefallen. Immerhin erinnert im Ratssaal des 2016 eingeweihten Nachfolgebaus noch der massive Ratstisch an die Vergangenheit. Er ist aus dem Balken des Dachstuhls von 1577 zusammengefügt und nimmt so die Funktion einer Klammer zwischen Vergangenheit und Gegenwart ein. Das schließlich verbindet ihn mit dem Buch „Jesingen – 1250 Jahre im Wandel“.