In vielen Städten, etwa in Esslingen, ist neben aggressivem Betteln auch das sogenannte Demutsbetteln untersagt. Foto: Martin Stollberg/Archiv

Mit einer Aktion sensibilisiert die Stadt seit kurzem ihre Bürger dafür, aggressive Methoden zum Geldsammeln nicht zu dulden. Das Problem betrifft indes viele größere Kommunen, die nach Wegen suchen, dieses Ärgernisses Herr zu werden.

Kirchheim - Uns ist bewusst, in welch schwieriger Situation Menschen sind, die betteln gehen“, sagt Günter Riemer, der Erste Bürgermeister der Stadt Kirchheim. Damit meint er in erster Linie sozial schwach gestellte Zeitgenossen, die still am Straßenrand sitzen und die Hand aufhalten, um sich über Wasser halten zu können. Bettler, die auf die Menschen zugehen, sich ihnen in den Weg stellen, sie verbal belästigen oder gar körperlich bedrängen, sind der Kirchheimer Stadtverwaltung indes ein Dorn im Auge. Vor diesen Machenschaften warnt eine jüngst ins Leben gerufene Plakatkampagne, die die Bürger laut einer Mitteilung „informieren und sensibilisieren“ will.

Grundsätzlich ist Betteln nicht verboten

Das Betteln ist nicht verboten. Aber es unterliegt in den Städten und Gemeinden strengen Regeln. Denn hinter einem guten Teil der Personen, die um Almosen bitten, stehen – so die Annahme der Verwaltungen – organisierte kriminelle Banden, die letztlich das Geld der Bettelnden abkassieren und diese in noch tiefere Not stürzen. Aggressiv Bettelnde oder bettelnde Kinder würden von Clans gesteuert, „für die nur ihr Profit und nicht das Wohlergehen der Bettelnden zählt“, sagt Günter Riemer. Das sollen die Plakate, die in Geschäften des Kirchheimer City-Rings aufgehängt werden, ins Bewusstsein der Menschen rücken. Zudem sollen die Poster aggressiven Bettlern „deutlich machen, dass sie rechtswidrig handeln“, wie es in der Mitteilung aus dem Rathaus heißt. Die Stadt habe sich zu der Aktion veranlasst gesehen, weil in der jüngsten Vergangenheit immer häufiger über Fälle von aggressivem Betteln in der Kirchheimer Innenstadt geklagt worden sei.

Mit dem Problem ist die Stadt Kirchheim freilich nicht alleine. Laut Michael Schaal, einem Sprecher des Polizeipräsidiums Reutlingen, ist aggressives Betteln in erster Linie „in größeren Städten durchaus ein Problem“. Vor allem vor Weihnachten trete dieses in den Fußgängerzonen und auf den Märkten verstärkt auf, „worüber sich hauptsächlich die Geschäftsleute beklagen“, sagt Schaal. Der Polizei sei es bekannt, dass viele aufdringliche Bettler durch Hintermänner organisierter Banden zu ihrem verwerflichen Tun genötigt würden. Die Bedürftigen – oft Frauen und Kinder – würden nachts in unwürdigen Behausungen untergebracht und tagsüber zum Geldsammeln auf die Straßen geschickt.

Bei der Stadt Böblingen geht man ebenfalls davon aus, dass bettelnde Bedürftige, die mit fragwürdigen Methoden versuchen, an das Geld der Passanten zu kommen, von Clan-Chefs abgezockt werden. Die Verwaltung ist bereits im vergangenen Jahr zu dem Schluss gekommen, hart gegen diese Banden vorgehen zu müssen. Zwar obliegen Kontrollen zunächst der Polizei, doch gebe es Überlegungen, einen eigenen städtischen Streifendienst einzurichten, sollte die Zahl der aufdringlichen Bettler weiter zunehmen.

Kommunen ändern Polizeiverordnungen

Die Stadt Ostfildern sah sich vor knapp drei Jahren gezwungen, ihre Polizeiverordnung zu ändern, um für aufdringliche Bettler Platzverweise aussprechen zu können. Die Verwaltung hatte sich zuvor zudem erkundigt, weshalb die Fälle zunehmen, in denen sich Bürger belästigt fühlten. Nach den Erkenntnissen der Polizei bestehe kein Zusammenhang zwischen der häufig organisierten und gewerblichen Art zu betteln und den Bewohnern von Flüchtlingsunterkünften, hieß es ausdrücklich in der Ostfilderner Vorlage für die Stadträte. Wahrscheinlicher sei es, dass es sich um Bettler handle, die aus den benachbarten Städten verdrängt würden.

Womöglich aus Esslingen, denn dort gehen die Maßnahmen über den bei allen Fällen aggressiven Bettelns obligatorischen Platzverweis hinaus. Der Vollzugsdienst sei angehalten, im Rahmen seiner Kontrollgänge Ordnungswidrigkeitsanzeigen zu erstatten, heißt es seitens der Stadt auf Anfrage. Bei erstmaligen Verstößen drohe ein Verwarnungsgeld von bis zu 55 Euro, bei mehrfachen Vergehen werde ein Bußgeld festgesetzt. Bei Bettlern, die keinen Wohnsitz in Deutschland haben, werde eine Sicherheitsleistung erhoben.

Gebote und Verbote für Bettler

Gesetze
Die Verbote gegen das Betteln gehen zurück bis ins Mittelalter. Als älteste Vorschrift in Deutschland gilt die Bettlerordnung, die im Jahr 1478 die Stadt Nürnberg erließ. Schon damals tat sich die Obrigkeit schwer, die milde Gabe an Bedürftige vollständig zu verbieten, und schrieb Unterschiede zwischen berechtigtem und unberechtigtem Betteln fest. 2015 gab Norwegen das Vorhaben auf, das Betteln zur Straftat zu erklären. In Österreich wurde 2013 ein landesweites Bettelverbot der Steiermark als verfassungswidrig gekippt.

Masche
Wer Mitleid erregt, erbettelt mehr. Ob Gebrechen vorgetäuscht und Leidensgeschichten wahr sind, ist selbstredend kaum zu entscheiden. Die Caritas mahnt davon unabhängig, dass niemand ohne Not bettle. Allerdings beobachten Polizisten immer wieder scheinbare Wunderheilungen. Ein Leiden vorzutäuschen, um Geld zu erbetteln, kann sogar als Betrug geahndet werden. Wer kein Geld geben, aber trotzdem Gutes tun will, dem empfehlen Sozialverbände, an Hilfsorganisationen für Obdachlose zu spenden.

Verbote
Uneingeschränkt erlaubt ist nur das stille Betteln. Bereits Fußgänger anzusprechen ist in den meisten Städten verboten – erst recht, jemanden womöglich sogar körperlich aufzuhalten. Ersteres ist aufsuchendes, Letzteres wird als aggressives Betteln bezeichnet. Für Bettler tabu ist auch, verstümmelte Körperteile zur Schau zu stellen, Tiere dabeizuhaben oder gar Kinder. Gegen solche Formen des Bettelns gehen Städte unterschiedlich vor. Die Bandbreite reicht vom einfachen Platzverweis bis hin zu einer Geldstrafe von 250 Euro.

Verordnungen
In den vergangenen Jahren wurden in den Städten Stuttgart, Esslingen, Filderstadt, Leinfelden-Echterdingen, Kirchheim und Nürtingen die Polizeiverordnungen dahingehend geändert, dass härter gegen aggressives Betteln vorgegangen werden kann. Dies ermöglicht es der Polizei und dem städtischen Vollzugsdienst, Bettlern Platzverweise zu erteilen oder Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten gegen sie einzuleiten.