In der Psychiatrie des Kirchheimer Klinik haben sich dramatische Szenen abgespielt. Ein Patient starb in den Flammen, die sein Zimmergenosse gelegt haben soll. Foto: SDMG

Am 20. Januar ist ein Patient in seinem Bett verbrannt. Vor der Schwurgerichtskammer des Stuttgarter Landgerichts muss sich ein Zimmergenosse verantworten, dem der Staatsanwalt Mord vorwirft. Der Beschuldigte schweigt.

Stuttgart/Kirchheim - Das Opfer hatte nach Darstellung des Staatsanwalts in den lodernden Flammen keine Chance gehabt. Die „großflächigen thermischen Einwirkungen, verbunden mit einem Inhalationstrauma“ haben zum Tod geführt. Der 69 Jahre alte Patient im Zimmer 44/02 der geschlossenen Station der Psychiatrie in der Medius-Klinik Kirchheim ist nach der Überzeugung des Anklagevertreters gestorben, weil sein 24 Jahre alter Zimmergenosse in genau dieser Absicht das Bett des Opfers und zwei weitere Betten angezündet hat.

Der 69-Jährige sei dem Tod geweiht gewesen, weil er komplett hilflos und nicht in der Lage gewesen sei, selbst aus dem Bett zu kommen. Nach dem Täter hatte die Polizei nicht lange fahnden müssen. Der 24-Jährige hatte noch an Ort und Stelle den Beamten gegenüber freimütig eingeräumt, die Brände gelegt zu haben.

Der Staatanwalt geht aufgrund einer psychischen Erkrankung von Schuldunfähigkeit aus

Mord, nennt das der Staatsanwalt zum Auftakt des Schwurgerichtsverfahrens vor dem Landgericht Stuttgart. Versuchter Mord, weil in jener Nacht am 20. Januar ein weiterer bettlägeriger Patient im Nebenzimmer erst in letzter Sekunde gerettet werden konnte, Brandstiftung mit Todesfolge, versuchte gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung komplettieren die Liste der Vorwürfe.

Die Staatsanwaltschaft geht auf Grund einer psychischen Erkrankung von einer Schuldunfähigkeit aus. Da der Beschuldigte jedoch erheblich rechtswidrige Taten begangen habe und eine Gefahr für die Allgemeinheit nicht auszuschließen sei, sei er dauerhaft unterzubringen.

Nach „normaler Jugend“ abgeglitten

An jenem Sonntag im Januar, um genau 21.15 Uhr, entlud sich der Vulkan, der offensichtlich seit geraumer Zeit in dem Beschuldigten brodelte. Weil der Angeklagte zum Prozessauftakt am Mittwoch schwieg, hat ein psychiatrischer Sachverständiger den Lebenslauf des in Weilheim/Teck lebenden Beschuldigten vor allem anhand der Krankenakten nachvollzogen. Nach einer „normalen, erfolgreichen Jugend“ habe der Beschuldigte im November 2013 seine Arbeit als Verfahrenstechniker aufgegeben und sich nach Darstellung seiner Umgebung immer weiter in sich zurückgezogen. Fernsehen und Computerspielen seien fortan seine Hauptbeschäftigungen gewesen.

Ende August des Jahres 2016 sei er erstmals wegen seines „bizarren und zunehmend aggressiven Verhaltens“ in psychiatrische Behandlung gekommen. So habe er das Vogelhäuschen des Nachbarn nach einer verstecken Kamera abgesucht und im Nachbarhaus, in dem seine Cousine mit ihrem Ehemann wohnte, auf die Rollläden eingedroschen und angekündigt, den nur zu ihm sprechenden Stimmen Folge leisten zu wollen, die ihn aufforderten, mit der Cousine zu schlafen und den Ehemann aus dem Weg zu räumen.

Die Auswüchse der daraufhin diagnostizierten paranoide Schizophrenie wurden zwar mit Medikamenten in Schranken gehalten, doch halbierte der Beschuldigte die Rationen, worauf sich sein Gemütszustand wieder verschlechterte. Am 27. Dezember vergangenen Jahres wurde er, begleitet von seinen Eltern, wieder in die Psychiatrie in Kirchheim vorstellig.

Übergriffe auf weibliches Pflegepersonal

Auf der Station hat er sich den Worten eines als Zeugen vernommenen Pflegers zufolge „übergriffig und bedrohlich“ gegenüber den weiblichen Pflegekräften gezeigt. Am Tattag habe sich die Situation wo weit zugespitzt, dass der Beschuldigte gegen 15.30 Uhr fixiert und zwangsmedikamentiert werden musste. Die Fixierung wurde aufgehoben, nachdem er sich einsichtig gezeigt und sich von seinen Handlungen distanziert habe. Auch sei die 1:1-Beobachtung auf halbstündige Kontrollbesuche zurückgefahren worden.

Gegen 21 Uhr habe sich der Beschuldigte über seinen Zimmergenossen beschweren wollen, sei aber vertröstet worden, da wenig später ohnehin die Nachtmedikante ausgegeben worden wären. Dazu sollte es nicht mehr kommen. In dem Prozess, in dem die beiden Töchter des Getöteten als Nebenklägerinnen auftreten, sind bis zum 25. Juli vier weitere Verhandlungstermine anberaumt.