Kirche braucht Basis – doch die schwindet immer mehr. Szene vom Kirchentag. Foto: epd/Thomas Lohnes

Auf die Kirche kommen schwere Zeiten zu. Sie muss stärker umsteuern, kommentiert unser Redakteur Michael Trauthig.

Dortmund - Es ist schon erstaunlich: auf dem Markt der Weltanschauungen, auf dem sich die Protestanten jetzt mit ihrem Kirchentag wieder medienwirksam präsentieren, gelten die Gesetze des Wettbewerbs offenbar nicht. Denn sonst müsste die Evangelische Kirche viel stärker von der Schwäche ihrer katholischen „Konkurrenz“ profitieren. Deren Ruf ist schließlich schwer beschädigt. So hat die Aufdeckung von zu meist lang zurückliegenden Missbrauchsfällen das Vertrauen in die römisch-katholische Kirche schwer erschüttert. Derweil die Protestanten bei dieser Krise – von Einzelfällen abgesehen – im Windschatten segeln durften.

Auch beim Thema Gleichberechtigung, das kürzlich einen Aufstand der gläubigen Frauen gegen Rom provoziert hat, stehen die Erben Luthers besser da. Pfarrerinnen sind seit Jahrzehnten im Dienst und Bischöfinnen längst akzeptiert. Zudem hat die evangelische Kirche nach gründlicher theologischer Debatte stärker ihr Familienbild modernisiert. Sie hat sich mehr für gleichgeschlechtliche Partnerschaften sowie Patchwork-Konstellationen geöffnet und so dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung getragen, und zwar ohne dabei bloß dem Zeitgeist nachzulaufen. Doch der Erfolg solcher Veränderungen bleibt begrenzt. Zwar ist das Ansehen der evangelischen Kirche mit einer Zustimmung von 38 Prozent besser als das der katholischen (18 Prozent). Doch beide Werte sind schlecht, und eine Abstimmung mit den Füßen, ein massenhafter Glaubenswechsel von Katholiken, findet nicht statt. – Weil die Unterschiede zwischen den Konfessionen heute ohnehin kaum mehr interessieren? Weil die Entfremdung vom Glauben gar nicht mehr aufzuhalten und der Mitgliederschwund der Kirchen ein Naturgesetz ist?

Die kirchliche Basis bröckelt

Fast scheint es so. Von daher richtet sich die zentrale Frage des Kirchentags in Dortmund, wie Vertrauen in diesen unsicheren Zeiten noch geschaffen werden kann, auch an die Kirchen. Sie zählen zu den Institutionen, die traditionell zwar Orientierung boten, deren Akzeptanz aber abnimmt. Noch genießen sie einen gesellschaftlichen Status, der ihnen Einfluss, Anerkennung und organisatorische Stabilität sichert. Doch die Basis bröckelt. Wenn die großen Kirchen nur eine Minderheit repräsentieren werden, wie es eine Studie vorhersagt, werden heutige Selbstverständlichkeiten ins Wanken geraten. Was wird aus der Kirchensteuer, aus dem Religionsunterricht an staatlichen Schulen, aus den theologischen Fakultäten und aus dem sozialen Reparaturbetrieb von Caritas sowie Diakonie? Wird eine Kirche, die ärmer ist als jetzt und womöglich ihre Sonderstellung – etwa beim Arbeitsrecht – einbüßt, noch ihre Botschaft unters Volk bringen können?

Die passenden Antworten darauf müssen die Kirchen selbst geben. Dass die Protestanten die Kraft und die nötige Fantasie haben, den Wandel zu bewältigen, führen sie in Dortmund jedenfalls vor Augen. Dort präsentiert sich eine weltzugewandte Kirche, die die aktuellen politischen Probleme – von Klimawandel bis Wohnungsnot – aus ihren christlichen Überzeugungen heraus angeht. Es zeigt sich eine Religionsgemeinschaft, die mit modernen Formen der Glaubensvermittlung experimentiert. Und man sieht eine Kirche, die eine Sprache sprechen kann, die auch alle jene verstehen, die nicht jeden Sonntag in den Gottesdienst kommen. Wenn das, was in Dortmund geschieht, zum Modell wird und irgendwann auch den Alltag in den Gemeinden bestimmt. Wenn es den Kirchen dann weniger um Besitzstandswahrung und gesellschaftliche Achtung und mehr um den Auftrag ihres Herrn geht. Wenn sie von Gewohnheiten Abschied nehmen und sich noch stärker den Menschen zuwenden – nur dann haben sie eine gute Zukunft.