Die Kirchen im Land stellen inzwischen zahlreiche Immobilien für Flüchtlinge zur Verfügung – wie hier im Kloster Weingarten Foto: dpa

Diskutieren Sie mit - Die Politik hat die Kirchen um Hilfe bei der Flüchtlingsunterbringung gebeten. Seither stellen immer mehr Gemeinden Gebäude zur Verfügung. Dass sie dafür Miete nehmen, gefällt nicht jedem.

Stuttgart - Die Handwerker sind mit ihrer Arbeit fertig. Jetzt tragen starke Männer Möbel in das schlichte Gebäude in Schlaitdorf. Nur noch wenige Tage, dann ziehen hier ganz besondere Bewohner ein. Die evangelische Kirchengemeinde des kleinen Ortes im Landkreis Esslingen hat beschlossen, das Untergeschoss ihres Gemeindehauses Flüchtlingen als Unterkunft zur Verfügung zu stellen. 16 Menschen sollen hier bis Ende nächsten Jahres leben. Das entlastet die Kommune, das entlastet den Landkreis, der händeringend Quartiere sucht.

Doch es empört den einen oder anderen im Ort. Nicht etwa deshalb, weil die Kirchengemeinde sich um Flüchtlinge kümmert. Sondern weil sie dafür Geld nimmt. Der Landkreis Esslingen zahlt für die 160 Quadratmeter große Fläche 1000 Euro Miete im Monat und hat zudem den Umbau der Räume finanziert. Der Zugang zur Küche musste neu geregelt werden, ein Herd hat gefehlt. „Die Kirche nutzt die Raumnot aus, die Mieten übersteigen das Ortsübliche. Die Kirche kassiert und der Steuerzahler blecht. Das ist Heuchelei“, schimpft ein Kritiker. Der Bürger müsse nämlich davon ausgehen, dass die Hilfe aus christlicher Nächstenliebe geschehe und nicht aus Geldnot.

Ernst Herrmann wundert sich über solche Reaktionen. „Wir haben die Konditionen bewusst öffentlich gemacht, jeder in unserer Gemeinde kennt sie“, sagt der Pfarrer. Der Landkreis habe die Miete von sich aus angeboten, sie entspreche dem ortsüblichen Satz. Bei einer Bürgerversammlung vor wenigen Wochen sei keine Kritik aufgekommen, „da war kein Stänkerer dabei“. Und doch hat der Pfarrer eine Vermutung, warum jetzt doch Gegenwind entsteht: „Wir waren eine der ersten Gemeinden, die entschieden hat, ihr Gemeindehaus für Asylbewerber zur Verfügung zu stellen, und stehen deshalb im Fokus.“ Selbst das Fernsehen hat vorbeigeschaut und den Schlaitdorfer Beschluss ins Land hinaus gesendet.

Der Landkreis ist dankbar für die Angebote

Vom Landkreis gibt es viel Lob. „Wir verfügen derzeit über 79 Flüchtlingsunterkünfte, davon haben die Kirchen einige zur Verfügung gestellt“, sagt Sprecher Peter Keck. Man stehe in engem Kontakt, es gebe Gespräche mit den Dekanen. „Wenn wir kirchliche Objekte bekommen, bezahlen wir natürlich normalerweise Miete“, weiß Keck. Die Höhe in Schlaitdorf sei fair und angemessen, sagt er – und fügt hinzu: „Da sind wir von privater Seite durchaus andere Angebote gewöhnt.“ Und doch bleibt die Frage: Darf die Kirche für christliche Nächstenliebe Geld nehmen?

Sätze wie „Barmherzigkeit braucht keine Miete“ hat auch Robert Eberle schon gehört. Doch der Sprecher der katholischen Erzdiözese Freiburg hält dagegen: „Von populistischen Sprüchen, die den Flüchtlingen und dem Engagement für sie nicht weiterhelfen, ist Baden-Württemberg bisher glücklicherweise weit gehend verschont geblieben.“ Eigentlich müsse jeder verstehen, glaubt er, dass auch Kirchengemeinden ihre Häuser nicht unentgeltlich zur Verfügung stellen könnten: „Jeder weiß, wie Gebäude aussehen, in denen über Jahre immer wieder neue Menschen leben. Da verdient sich keiner eine goldene Nase, der Unterhalt für die Häuser und das Engagement sind viel größer als die Miete.“ Sie sei zudem für zögernde Gemeinden eine Hilfe, die nicht wüssten, was genau auf sie zukommt, die höhere Versicherungen abschließen und auf ihre Räume verzichten müssen.

Ein Verkauf wäre oft lukrativer

Zwischen den jeweiligen Vertragspartnern, also dem Land, den Landkreisen und den Kommunen auf der einen sowie den Kirchen auf der anderen Seite, besteht grundsätzlich Einigkeit über Mietzahlungen. „Das ist völlig unumstritten“, sagt Doris Banzhaf von der evangelischen Landeskirche in Baden. „Wir nehmen ja keine horrenden Mieten. Das ist das Signal nach außen.“ Bei so mancher nicht mehr benötigten Immobilie, fügt sie an, wäre ein Verkauf deutlich lukrativer als eine Nutzung für Flüchtlinge. Das Land ist dementsprechend voll des Lobes: „Die Kirchen tun was, dafür sind wir sehr dankbar“, sagt Christoph Häring vom Integrationsministerium. Und er weist darauf hin, dass die Kirchen auch als soziale Träger, mit Ehrenamtlichen, in Betreuung und Unterstützung von Asylbewerbern in jeglicher Weise tätig sind.

Wie viele Unterkünfte die Kirchen im Land zur Verfügung stellen, lässt sich bis auf den letzten Platz nicht sagen. „Die Gemeinden sind nicht zu einer Rückmeldung verpflichtet“, heißt es bei der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Gleichwohl gibt es aber Umfragen und Schätzungen, die das Bild recht genau widerspiegeln. Demnach sind die Kirchen wohl aktiver bei der Flüchtlingsunterbringung als viele bisher gedacht haben. Aufs Land hochgerechnet dürften sie derzeit zwischen 6000 und 7000 Plätze zur Verfügung stellen – Tendenz steigend.

1000 Plätze allein in Stuttgart

Allein die Stadt Stuttgart kann im Moment rund 1000 Asylsuchende in kirchlichen Liegenschaften unterbringen – rund ein Sechstel der Gesamtzahl. Dazu gehören Waldheime, Häuser der Gemeinden, der Caritas und der evangelischen Diakonissenanstalt. Dafür wird auch Miete bezahlt. Die Zusammenarbeit sei gut und vertrauensvoll, heißt es aus dem Rathaus.

Landesweit wird jedes denkbare Gebäude mittlerweile genutzt – vom Gemeindehaus über Pfarrhäuser bis hin zu Klöstern oder Bildungseinrichtungen. Allein die evangelische Landeskirche in Württemberg bringt derzeit 1600 Flüchtlinge in ihren Liegenschaften unter. Hinzu kommen 550 unbegleitete Jugendliche. „Außerdem wissen wir von 320 Kreisen Ehrenamtlicher, die Flüchtlingen helfen“, sagt Sprecher Oliver Hoesch. Bei den evangelischen Kollegen in Baden sind es rund 400 Plätze – vom leer stehenden Altenheim bis hin zu einzelnen Wohnungen, die den Gemeinden gehören.

Auch die katholische Kirche lässt geflüchtete Menschen in zahlreichen Gebäuden wohnen. Robert Eberle will für die Freiburger Erzdiözese keine genauen Zahlen nennen – doch er spricht von 80 Standorten „mit mehreren Tausend Leuten“. Zu denen noch 160 unbegleitete Minderjährige dazugezählt werden müssen. Die Diözese Rottenburg-Stuttgart hat jüngst eine Umfrage unter ihren Gemeinden gemacht. Das Ergebnis: Gemeinsam mit Klöstern und anderen größeren Einrichtungen bieten sie derzeit Wohnraum für fast 1000 Flüchtlinge. Ehren- und Hauptamtliche leisten ungezählte Arbeitsstunden für Asylsuchende. Die Hälfte der über 1000 Kirchengemeinden stellt kostenlos Räume für die Arbeit mit Flüchtlingen zur Verfügung.

Es sollen noch mehr Plätze folgen

Das Engagement der kirchlichen Helfer leidet bisher nicht unter der vereinzelten Kritik und der Größe der Aufgabe. Im Gegenteil. Viele Beteiligte wollen die Angebote in Zukunft noch ausbauen. Die evangelische Landeskirche in Württemberg etwa plant, bis Jahresende weitere 250 Plätze für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu schaffen. Der Freiburger Erzbischof Stephan Burger hat festgestellt, dass es „eine enorme Hilfsbereitschaft gibt“. Und er fordert: „Wir müssen Menschen, die vor Krieg, Gewalt und Elend geflohen sind und dauerhaft hier bleiben können, willkommen heißen, auf sie zugehen, mit ihnen ins Gespräch kommen und sie integrieren. Dann werden auch wir durch sie bereichert.“ Finanziell dürfte das freilich ganz explizit nicht gemeint sein.

In Schlaitdorf hat sich inzwischen ein Helferkreis für die Neuankömmlinge gebildet. „Zum ersten Treffen sind 33 Leute gekommen“, freut sich Pfarrer Herrmann. Die Gemeinde will nun noch für eine drahtlose Internetverbindung in der Unterkunft sorgen. In den nächsten Tagen sollen die Flüchtlinge einziehen. Von der Debatte um die Mietpreise und die christliche Nächstenliebe wissen sie nichts. Für sie zählt vor allem eines: das Dach über dem Kopf.