Jeremy Renner Foto: Wild Bunch

Ein Fährtenleser und eine unerfahrene Agentin versuchen, den Mord an einer jungen Frau aufzuklären. Die Kälte Wyomings wird in diesem Thriller zur Metapher für die desolate Lage der indigenen Völker Nordamerikas.

Wyoming - Kalt ist es in Wyoming. Mit bis zu minus 30 Grad fegt der Schnee erbarmungslos über das Wind-River-Indianerreservat hinweg und macht das Leben dort zum dauernden Existenzkampf. Aber man hat sich angepasst: Skianzüge, Schneemobile und dicke Mützen gehören zur Standardausrüstung der Bewohner. In der gespenstischen Stille dieser eisigen Ödnis entdeckt der Fährtenleser Cory Lambert (Jeremy Renner) eines Tages die Leiche der 18-jährigen Natalie, der Tochter seines besten Freundes. Um den Mord aufzuklären, bekommt er überraschend eine Polizistin aus Las Vegas zur Seite gestellt – und das, obwohl das Verschwinden junger Mädchen in den Reservaten sonst kaum Aufmerksamkeit erregt.

Sehen Sie hier den Trailer zu „Wind River“:

Taylor Sheridans düsterer Thriller nach wahren Begebenheiten trifft die Problemlage der indigenen Stämme Nordamerikas. Viele der traditionellen Reservate kämpfen mühsam gegen ein System, das oft grob über ihre Interessen hinwegsieht. Medial Aufruhr verursachten zum Beispiel die Proteste gegen den Bau der Dakota Access Pipeline, einer Öllinie, die quer durch die heiligen Stätten der Sioux-Indianer verlegt werden soll. Im Protestcamp Standing Rock stemmten sich Tausende Ureinwohner gegen die geplanten Maßnahmen – bis Trump das Camp im März 2016 zwangsräumen ließ. Doch auch abseits solch medienwirksamer Großereignisse ist die Situation vieler Völker misslich: Vom Versorgungssystem der USA vernachlässigt, kreisen viele Native Americans in einem sozialen Paralleluniversum aus Armut, Traditionen und Minderwertigkeitskomplexen.

Geschichten von der Grenze

„Wind River“ legt den Finger in diese kulturelle Wunde. Das klaustrophobische Drama ist der letzte Teil der sozialkritischen Frontier-Trilogie des Autors Sheridan: Der Drogenthriller „Sicario“ setzte sich mit den Bandenkriegen an der mexikanischen Grenze auseinander, der Neowestern „Hell or high Water“ erzählte von der Aussichtslosigkeit im ökonomisch brachliegenden Texas. Sheridan skizziert in seinen Drehbüchern mit spielerischer Präzision soziale Missstände. Statt sich mit erhobenem Zeigefinger gegen Obrigkeiten zu wenden, porträtiert er lieber die Menschen hinter den Problemen.

In „Wind River“, bei dem Sheridan erstmals selbst Regie führt, wirken nun allerdings gerade die ziemlich klischeebehaftet: Den kulturellen Clash zwischen indigenen Traditionen und dem US-System inszeniert er im Zusammentreffen des verhärmten, wortkargen Jägers Cory und des naiven Großstadtblondchens. Dass Elizabeth Olsen als Anfänger-Agentin Jane Banner dabei nicht noch Kaugummi kauen und Stöckelschuhe tragen muss, ist alles. Ansonsten erfüllt die eigentlich in Las Vegas stationierte Beamtin mit ihrer 200-Dollar-Frisur, die sie im Mietwagen orientierungslos durch das Reservat kutschiert, so gut wie jedes Vorurteil. Auch die Einheimischen rümpfen über die scheinbare Unterstützung anfänglich nur die Nase: zu jung, zu blond, zu unerfahren. Jane selbst muss – wie sollte es anders sein – ebenfalls bald einsehen, dass sie mit ihren Lehrbuchtaktiken angesichts der eigenwilligen menschlichen Dynamik vor Ort nicht weit kommt und sich in der Fremde ganz auf die Fähigkeiten des Fährtenlesers Cory verlassen muss.

Mühsam angepasst ans Eis

Doch so vorhersehbar diese Konstellation auch scheint, so überraschend mitreißend ist der Sog, den der Thriller entwickelt. Schon die Ermittlungen von Jane und Cory, die in der unterkühlten Aussichtslosigkeit der Siedlung nach Natalies Mörder suchen, werden immer mehr zum spannenden Einblick in die Lebenswirklichkeiten der Einwohner. Die Kriminalgeschichte selbst rückt immer mehr in den Hintergrund. Zum eigentlichen Hauptakteur wird stattdessen die bedrohlich schöne Eislandschaft, in der Sheridan seinen Thriller spielen lässt. Die Kälte Wyomings wird zur existenzbestimmenden Größe: Man lebt mit dem Schnee im Nirgendwo und passt sich unter Mühen dem ewigen Eis an.

Das ist nicht nur eine schöne Metapher, sondern gleichzeitig auch die brachiale Realität der Figuren. Denn im Reservat herrscht ein einfaches Motto: Entweder man passt sich an, oder man geht drauf. So beschwört Sheridan eine trostlose Welt herauf in einem Film, der selbst auch keinen Trost spenden kann. Stattdessen verharrt er in der brutalen Einsamkeit des Reservats, in dem niemand wirklich der ist, der er eigentlich gerne wäre.

Fragwürdig bleibt da nur die exzessive Gewalt, die Sheridan an manchen Stellen geradezu zelebriert. Obwohl die erbarmungslose Gleichgültigkeit, mit der da um sich geschossen, vergewaltigt und geprügelt wird, zum Tenor des Thrillers passt, hinterlässt sie letztlich doch einen bitteren Beigeschmack.

Wind River. USA 2017. Regie: Taylor Sheridan. Mit Jeremy Renner, Elizabeth Olsen. 107 Minuten. Ab 16 Jahren.