Vorbildmäßig weit vorne: Rock’n’Roll, wo Erwachsene noch Kindskopf sein dürfen Foto: Setzer

Wenn ein Kind im Haus ist, soll man plötzlich Vorbild sein. Guter Witz. Die dümmsten Ideen der Menschheit gingen schließlich immer von Erwachsenen aus.

Stuttgart - Wahrheiten sind wichtig, selbst wenn’s mal mehrere geben sollte. Kinder zum Beispiel sollte man nicht grundlos glorifizieren. Man muss sich nur vor Augen halten, dass ein Großteil der ärgerlichen Erwachsenen irgendwann auch mal Kinder gewesen sind. Viele waren wahrscheinlich sogar wahnsinnig süß und lieb, hatten Kulleraugen und tolle Käsefüße. Man will gar nicht wissen, was da unterwegs schiefgegangen ist, dass die später zu ausgewachsenen Stinkstiefeln wurden.

Tatsache ist allerdings auch: Das schlimme Zeug auf der Welt wurde weder von Kindern erfunden, noch von denen zum Ärgernis perfektioniert. So was machen ausnahmslos Erwachsene. Man wird ja zum Beispiel nicht als Rassist geboren. Das passiert alles erst später, wenn die Erwachsenen ins Spiel kommen, mit ihrem Halbwissen, der Dummheit – und das zu allem Übel auch noch ungebremst weitergeben.

Krach, Geschrei, Mord und Totschlag

Ich befürchte dennoch, es ist ein bisschen Irrglaube, dass Kinder ein weißes Blatt Papier wären, das ausgerechnet von den Eltern vollzuschreiben sei. Wahrscheinlich geht’s eher darum, dem Kind das Schreiben beizubringen, und es dabei zu unterstützen, alles selbst vollzukritzeln. Stifte besorgen, ausreichend Papier und dann bloß nicht durchdrehen, wenn was auf die Tapete oder den Tisch gemalt wird.

Man kann dem Kind das Schallplattenregal zeigen, aber eben nur hoffen, dass es ähnlich viel Spaß mit den Platten von den Dwarves oder Slayer hat wie der Vater – und nicht viel lieber Capital Bra oder Richard Wagner hören will. Meine Mutter fragte früher regelmäßig, was ich an der schrecklichen Musik so toll fände. Überall Gebrüll, Krach, Nackte, Monster, Mord und Totschlag.

Sauflieder!

Einmal erkundigte sie sich, ob ich gerade irische Sauflieder hören würde, dabei war das Musik von Bad Religion. Bad Religion. Deren Bandemblem ist ein durchgestrichenes Kreuz. Aber: Sie fragte und wollte hören, was ich denn dazu zu erzählen hatte. Auch zu dem Kreuz.

Und Kinder haben schließlich immer viel zu erzählen, meistens sogar schon bevor sie mit Reden oder Bad Religion anfangen. Und was Bauchgefühl angeht, scheint jedes Kind zurechnungsfähiger zu sein als Typen wie Boris Palmer. Das möchte ich dem Kind unter keinen Umständen versauen.

Vive le Bauchgefühl

Bauchgefühl als Kind: Hui, die Ente quietscht, gleich noch mal drauf drücken. Oder Fußball: Vier zusammengeknüllte Jacken und ein Ball – lass uns kicken. Später erst muss der Dicke ins Tor. Lass uns Dosen ans Fahrrad binden und höllischen Lärm veranstalten. Lass uns stundenlang auf das Cover der ersten Ramones-Platte gucken und uns überlegen, wie cool diese Typen eigentlich sind.

Lass uns über Witze von Otto Waalkes lachen, obwohl wir gar nicht wissen, was der mit diesen Wandervögeln meinte, die sich getrennt haben, weil der eine Teil nur noch wandern und die anderen lieber – Tädä – vögeln wollen. Lass uns in Pfützen springen, weil das so lustig spritzt und Leute außenrum dann „Uwäähh!“ rufen.

Lass uns einfach mal die Schrauben an dem Gerät rausdrehen und gucken, wie das alles von innen ausschaut. Lass uns jemanden anlächeln, weil das Gegenteil davon ja auch nix bringt. Und lass uns verdammt noch mal Angst haben, dass jemand Superman Kryptonit ins Schlafzimmer schmuggeln könnte.

Orr, was für ein realitätsfremder und naiver Hippiequatsch. Geil. Aber: Mist, ich sollte doch das Vorbild sein.

Michael Setzer ist vor Kurzem Vater geworden. Früher haben Eltern ihre Kinder vor Leuten wie ihm gewarnt. Niemand hat ihn vor Kindern gewarnt.