Alles ganz einfach: auf die Nase stupsen, dann macht’s „Möhp“. Foto: Setzer

Eltern, die sich als Freunde ihrer Kinder verstehen, haben ein Imageproblem. Unser Kolumnist Michael Setzer versucht derzeit trotzdem das Beste daraus zu machen: Als Ersatzkumpel mit Quatsch im Kopf.

Stuttgart - Ich habe den Hund geweckt. Sie lag neben mir auf der Couch, japste, quietschte – schlecht geträumt wahrscheinlich. Manchmal träumt sie lustig. Dann hört man förmlich, wie sie mit anderen Hunden um die Wette läuft, aufgeregt ist und Spaß dabei hat. Das hier klang allerdings nicht gut. Freunde wecken Freunde aus miesen Träumen, deshalb nennt man uns Freunde. Kurz wachstreicheln, anknuddeln. Dann läuft die Geschichte wieder.

Später im Bett: Der Sohn lächelt im Schlaf. Er sieht zufrieden aus. Ich habe es im Smartphonelicht gesehen. Bin froh, dass er nicht aufgewacht ist und ich bin froh, dass ich ihn nicht aufwecken musste. Zu seinen Problemen gehören derzeit diese wachsenden Zähne, ziemlich viele. Das macht Schmerzen und keinen Spaß. Er wacht deshalb oft genug auf – schön, wenn er es nicht tut. Das sind seine Probleme – und dass ich ihn gelegentlich davon abhalte, höher auf Schränke zu klettern, als mir sinnvoll erscheint. Das Coronavirus gehört nicht zu seinem primären Problemkatalog.

Ein miserabler Witz

Einiges interessiert ihn noch nicht, anderes weiß er noch nicht, und ich hoffe, dass es ihn auch noch lange Zeit nicht beschäftigen wird. Dieses Mädchen zum Beispiel. Wir saßen an einem kleinen Bach, irgendwo hinter Degerloch. Das Wetter war gut, der Hund buddelte und der Kleine erforschte, wie schnell man eigentlich die Socken im Bach nass bekommt.

Ein Mädchen, das ebenfalls am Bach forschte, interessierte sich für ihn und er sich für sie. In einer normalen Welt, hätten beide gemeinsam gespielt, was Kinder eben machen würden, wenn dieses Frühjahr kein miserabler Witz und wir Menschen prinzipiell erst mal knuddelbar wären.

Im Frühjahr 2020 sieht das so aus: Abstand halten. Die Mutter des Mädchens guckt mitleidig, wir tun’s auch und es ist klar: mit Pandemien haben wir alle keine aufschlussreichen Erfahrungswerte. Wir lächeln das weg.

Verdammt noch mal!

Alles in mir vibriert, weil ich laut brüllen möchte: „Herrgott, verdammte Scheiße noch mal, das sind Kinder! Kinder spielen. Das ist es, was Kinder tun. Spielerisch die Welt kennenlernen. Die sollen gemeinsam Spaß haben, laut sein, Zeug auf den Boden werfen und sich selbst gleich hinterher. Und wenn sie damit fertig sind, fangen wir von vorne an, bis sie wirklich komplett mit Schlamm eingesaut sind, und wir sie zu Hause erst mal kärchern müssen, nur um zu gucken, ob wir überhaupt das richtige Kind mit nach Hause genommen haben! So muss das sein!“.

Hab’s natürlich nicht gesagt und auch nicht gebrüllt. Erstens, weil ich in Gegenwart von Kindern versuche, mir dieses verdammte Gefluche abzugewöhnen. Und zweitens: Wen soll ich denn ernsthaft anbrüllen? Wohin bitte mit der Wut und Angst, dass das alles hier zur Normalität werden könnte?

Ich kann keinen Schuldigen ausmachen, weshalb in aller Welt Kinder nicht miteinander spielen können, obwohl sie das laut und deutlich wollen. Klar, das Virus ist schuld. Anbrüllen bringt aber nix, das machen höchstens Leute, die auch Ampeln anhupen, damit diese dann schneller grün werden.

Die Kuh macht „Muh“

Die Kuh macht „Muh“, erkläre ich dem Kleinen zu Hause mit dem Finger im Bilderbuch. Er nickt, blättert weiter, das ist ein „Bohgbohg“, sage ich mit dem Finger auf einem Huhn. Und, ja spitze, da ist ein „Wauwau“, als er auf den Hund im Buch zeigt und dann auf unseren Hund.

Der Junge zeigt auf die Stereoanlage, grubelt eine CD aus dem Schrank und deutet Tanzbewegungen an. Wir setzen dann Kopfhörer auf und tanzen durchs Wohnzimmer. Mal hören wir Van Morrison, mal Gaslight Anthem, neulich hat er Death Metal aus Schweden aus dem Regal gezogen und trotzdem getanzt. Wir haben Springsteen gehört und sind mit dem Bobbycar durch die Wohnung gefahren, weil die Lieder von Springsteen im Auto noch größer werden.

Die Unbefangenheit des Kindes ist der geniale Teil unserer häuslichen Normalität. Die Welt dreht sich weiter, wir versuchen Corona davon abzuhalten, uns Stöckchen ins Rad zu werfen. Und manchmal fluche ich.

„Mama“

Besser: Der Kleine sagt nun mit engelsgleicher Stimme „Mama“ und wir jubeln dann alle und heulen fast vor Freude, weil das so fantastisch klingt. Er merkt das und sagt gleich noch mal strahlend „Mama“ – auch zu mir. Ich nehme es als das größte Kompliment der Welt.

Aber ich sehe auch, dass ich ihm eine andere Normalität wünsche. Spielen mit „echten“ Kindern. Wenn aus Kumpels und Kumpelinnen Freunde werden, wenn das Herz betrunken hüpft und man an einem Sommerabend eine zerdellte Coladose durch die Straße kickt und sich längere Arme wünscht, dass man die Welt besser umarmen kann. So was. Und dann lächeln im Schlaf.

Ich möchte mich später an diese Zeit erinnern, weil er „Mama“ gesagt hat und wir, äh, zu Death Metal aus Schweden getanzt haben. Weil nämlich auch schöne Dinge passiert sind.

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Michael Setzer ist vor über einem Jahr Vater geworden. Früher haben Eltern ihre Kinder vor Leuten wie ihm gewarnt. Niemand hat ihn vor Kindern gewarnt. Er schreibt im wöchentlichen Wechsel mit seiner Kollegin Lisa Welzhofer, die sich in ihrer Kolumne „Mensch, Mutter“ regelmäßig Gedanken übers Elternsein, über Kinder, Kessel und mehr macht.