Vorbereitet sein auf gefährliche Kletterpartien: Aus Neugier und Bewegungsdrang nutzen Kinder Möbel gerne als Klettergerüst. Regale sollten deshalb fest an der Wand verankert sein. Foto: BAG/dpa/gms

Steckdosen, Treppen, Kabel: Für Kinder ist das Zuhause nicht ungefährlich. Inke Ruhe von der Bundesarbeitsgemeinschaft „Mehr Sicherheit für Kinder“ rät: Wer Unfälle vermeiden möchte, sollte das Heim aus Kindersicht betrachten.

Stuttgart - – Frau Ruhe, wann sollten Eltern beginnen, ihre Wohnung kindersicher zu machen?
Richtig spannend wird es, sobald das Kind mobiler wird – wenn es anfängt zu krabbeln, sich an Sachen hochzieht und die Welt erkunden möchte. Das ist bei einem Kind von drei Monaten noch nicht in dem Maße der Fall. Aber auch in dem Alter gibt es Bereiche im Haus, die es lohnt, sich genau anzuschauen: Wie schläft das Kind? Wie wird es gebadet? Wo wird es gewickelt?
Worauf sollte man beim Wickeltisch achten?
Der Wickeltisch ist uns ein besonderes Anliegen. Unsere Präsidentin ist Kinderchirurgin an der Berliner Charité. Sie sagt: Jeden Tag wird ein Kind eingeliefert, das vom Wickeltisch gefallen ist. Dabei sind Stürze vom Wickeltisch zu einhundert Prozent vermeidbar. Viele Eltern denken, dass sich ein junger Säugling noch nicht dreht. Doch auch wenn sie nur kurz abgelenkt sind – wenn sie mal eben die Tür aufmachen oder ans Telefon gehen –, kann dieser Moment ausreichen. Das Kind macht eine Strampel- oder Rollbewegung und fällt vom Tisch herunter. Der Wickelnde muss immer eine Hand am Kind haben. Wenn man doch mal weggehen will, nimmt man das Kind mit oder legt es auf den Boden.
Wann geschehen die meisten Unfälle?
Die meisten Unfälle passieren im Säuglingsalter, gefolgt vom Kleinkindalter. Zu dieser Zeit kann man sein Kind kaum ohne Aufsicht lassen, und Verletzungen fallen schwerer aus, weil die Kinder häufig auf den Kopf fallen. Sind die Kinder älter, können sie sich besser mit Armen und Beinen abfangen.
Wie kann man Kleinkinder davor schützen?
Das Stürzen ist tatsächlich die häufigste Unfallart. Das ist auch normal, weil der Schwerpunkt des Kinderkörpers weiter oben liegt als bei einem Erwachsenen. Beugt sich das Kind nach vorne, zieht der schwere Kopf es zu Boden. Wenn Kinder beim Laufen stürzen, sich auch einmal eine Beule holen, ist das wichtig. Das müssen Kinder lernen. Aber Stürze vom Wickeltisch, aus dem Fenster oder vom Balkon müssen unbedingt vermieden werden. Kleinkinder stürzen sehr oft vom Sofa und vom Elternbett – zwei Orte, an denen man das Kind gerne einmal kurz ablegt, von denen es sich aber leicht herunterrollen kann. Die Folge ist nicht selten eine Gehirnerschütterung. Das sind Verletzungen, die vermieden werden können.
Welche Sicherungshilfen für Kinder sind sinnvoll?
Kein Sicherheitsartikel bietet den hundertprozentigen Schutz. Er kann zwar unterstützen, doch er entbindet Eltern nicht von ihrer Aufsichtspflicht. Empfehlen würde ich ein Herdschutzgitter, Treppenschutzgitter, Fenstersicherungen und gesicherte Steckdosen. Rauchmelder sind ja inzwischen Pflicht.
Gibt es Gegenstände oder Spielgeräte, die Sie für gefährlich halten?
Dringend abraten würde ich von Lauflernhilfen. Die Lauflernhilfe ist eins der gefährlichsten Verwahrgeräte für Kinder. Sie ist nicht altersgerecht: Die Kinder können im Krabbelalter auf einmal stehen und sich mit den Fußspitzen von der Stelle bewegen. Das macht den Kindern natürlich viel Spaß. Das Problem daran ist aber, dass sie eine Geschwindigkeit erreichen, die man selbst gar nicht für möglich gehalten hat. Und dass sie an höher gelegene Dinge heranreichen, die sie eigentlich noch nicht erreichen könnten. Immer wieder kommt es vor, dass Kinder mitsamt der Lauflernhilfe die Treppe hinabstürzen. Das ist höchst gefährlich, weil die Kinder so ungebremst auf den Kopf fallen.
Wie sollten Eltern vorgehen, wenn sie ihre Wohnung kindersicher machen möchten?
Im Prinzip geht es darum, die Welt einmal mit Kinderaugen zu betrachten, sich zu fragen: Was interessiert ein Kind? Wenn ich beispielsweise den Wasserkocher betätige, heißes Wasser in eine Tasse gieße, dann zappelt das Kabel. Das Kind ist nicht wirklich an dem Wasser interessiert. Aber es will wissen: Was wackelt denn da? Und dann zieht es an dem Kabel. Natürlich muss man einem Kind auch beibringen, was es darf und was es nicht darf. Aber man darf nicht erwarten, dass es sich immer daran hält. Gleichzeitig sollte man ihm die Möglichkeit geben, eine Risikokompetenz zu entwickeln und diese einzuüben – beim Klettern, Balancieren oder Radeln. Mit solchen Kompetenzen kann das Kind später selbst viele Unfälle vermeiden.