Hilferuf an die Politik: Die Kinderkliniken sind völlig überlastet. Foto: Max Kovalenko

Am Montag haben 23 Kinderkliniken im Land einen Hilferuf an die Landesregierung veröffentlicht. Die Lage sei prekär. Deshalb lädt Gesundheitsminister Mann Lucha nun zu einem Krisengipfel.

Die aktuelle Überlastung der Kinderkliniken im Land und die Kritik am unzureichenden System der Kinder- und Jugendmedizin ruft nun auch die Landesregierung auf den Plan. Gesundheitsminister Mann Lucha (Grüne) hat am Montag erklärt, er werde „noch vor Weihnachten zu einem Fachgipfel Kindergesundheit einladen“. Lucha betonte: „Die Lage in den Kinderkliniken ist angespannt.“ Deshalb werde er diese mit den Kinderärzten und den Kliniken erörtern, um „entsprechend gegenzusteuern, wo von Landesseite überhaupt kurzfristig möglich“. Das Treffen werde aller Voraussicht nach am Donnerstag stattfinden.

Kurz zuvor hatten viele Kinderkliniken im Südwesten angesichts von Überlastung und Personalnot mit dramatischen Worten einen öffentlichen Hilfsappell an die Landesregierung gerichtet. Das System werde seit Jahren kaputtgespart, dringende kinderchirurgische Eingriffe würden verschoben, Kinder müssten auf die benötigte Therapie warten, heißt es in einem Protestbrief von Fachärzten aus 23 der rund 30 Kinderkliniken im Land. „Für uns besteht konkret die Angst, dass wir in überfüllten Notaufnahmen und ohne Aufnahmekapazitäten auf den Stationen die falschen Kinder nach Hause schicken, mit unter Umständen fatalen Konsequenzen – dass eines dieser Kinder morgens nicht mehr aufwacht“, heißt es in dem Brief.

Online-Petition des Olgäle

Bereits am Freitag hatte das Klinikum der Stadt Stuttgart, das mit dem Olgäle eine der großen Kinderkliniken im Land betreibt, eine eigene Online-Petition gestartet. Diese richtet sich gegen die jüngsten Pläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Zwar anerkenne Lauterbach die prekäre Lage der Kinderkrankenhäuser, sagt der Medizinische Vorstand des städtischen Klinikums, Jan Steffen Jürgensen, seine jüngste Vorgaben aber seien „unsinnig und kontraproduktiv, das kann Lauterbach nicht ernst gemeint haben.“

Trotz der Erklärung im Berliner Koalitionsvertrag, kurzfristig für eine bedarfsgerechte auskömmliche Finanzierung der Pädiatrie zu sorgen und die in aller Regel defizitären Einrichtungen zu entlasten, sollen die Kinderkliniken in den kommenden beiden Jahren, wenn sie mindestens 80 Prozent der Leistungen des Jahres 2019 erbringen, die Vergütung von 100 Prozent erhalten. Jan Steffen Jürgensen hält dies für einen „Fehlanreiz“. Damit ist es für die Häuser am wirtschaftlichsten, knapp über 80 Prozent der Leistungen von 2019 zu bleiben. Das helfe allenfalls kleineren Kinderkliniken, die etwa wegen Personalmangels weniger leistungsfähig seien und so gestützt würden.

Jüngste Pläne aus Berlin seien „schädlich“

Große Kinderkliniken wie das Olgäle mit vollen Notaufnahmen, vollen Betten und langen Wartelisten stünden „so schlecht wie vorher da oder noch schlechter“, so der Medizinische Vorstand. „Kliniken, die ihre Leistung zumindest stabil halten, werden mit ihren wirtschaftlichen Defiziten allein gelassen“, ärgert sich Jan Steffen Jürgensen. Wer mehr als die Leistungen des Jahres 2019 erbringe, müsse sogar Abschläge hinnehmen. „Das wird der Situation nicht gerecht“, kritisiert der Klinikumsvorstand. Man sei „brechend voll“, sagt Jürgensen, Jugendliche zwischen 13 und 15 Jahren würde schon auf Erwachsenenstationen gepflegt. Er geht davon aus, dass das mit rund zehn Millionen Euro ohnehin hohe Jahresdefizit des Olgäle noch weiter steigen wird. Die Regelungen des Gesundheitsministeriums seien deshalb „nicht nur nicht hilfreich, sondern schädlich“.

Jörg Martin, der Geschäftsführer der Kliniken Holding RKH, zu der die Krankenhäuser der Landkreise Ludwigsburg, Enz und Karlsruhe gehören, pflichtet dem bei. Mit Lauterbachs Plan sei „nichts gewonnen“. Ziel müsse es sein, die hohen Vorhaltekosten von Kinderkliniken außerhalb des Fallpauschalen-Systems zu finanzieren. Dies hatte eine von Lauterbach eingesetzte Expertenkommission auch empfohlen. Dies könne dann unter anderem anhand der Größe des Einzugsgebiets berechnet werden, so Martin.

Reduktion auch im Bereich der Erwachsenen

Auch in der Kinderklinik in Ludwigsburg seien „alle Betten voll“, sagt der Geschäftsführer. „Wir sind am Limit.“ Um genügend Platz für Notfälle etwa wegen schweren RSV- oder Influenza-Infektionen zu haben, würden planbare Eingriffe „nicht mehr einbestellt“, schildert Jörg Martin die Lage. Wie Jan Steffen Jürgensen hält er den Vorschlag Karl Lauterbachs, Personal aus der Erwachsenenpflege in den Kinderkliniken einzusetzen, für „Unsinn“. Das gehe schon deshalb nicht, so Jürgensen, weil auch dort das Personal knapp sei. Martin erklärt, diese Umsetzung sei nur aus den wenigen Bereichen möglich, wo man bisher schon viele kleine Patienten habe, etwa in der HNO und in der Psychosomatik. In Ludwigsburg hat man beide Bereiche deshalb „heruntergefahren“, in der HNO reduziere man bei den Erwachsenen auch die planbaren Eingriffe, erzählt Jörg Martin.